Diamantene Kutsche
Himmel vor Seligkeit. Kämpfen sei viel schöner als der Dienst als Majordomus, bekannte er. Und setzte kurz darauf hinzu: Sogar noch schöner, als das demokratische Japan aufzubauen.
Als Kommandeur machte er sich in der Tat vorzüglich. Alle halbe Stunde ritt er die Karawane ab, prüfte, ob auch kein Maultier lahmte, kein Gepäckstück sich gelöst hatte, scherzte mit den Kämpfern, und der Troß schritt gleich munterer, energischer voran.
Zu Fandorins Verwunderung legten sie keine Rast ein. Er trat sparsam in die Pedale, fuhr im Schrittempo, doch nach zwanzigWerst ermüdete er allmählich, die Schwarzjacken dagegen ließen keinerlei Anzeichen von Erschöpfung erkennen.
Die Mittagspause dauerte eine Viertelstunde. Jeder, auch Kamata, aß zwei Reisrollen und trank einen Schluck Wasser, dann ging es weiter. Fandorin, der die von Obayashi-san liebevoll bereiteten Sandwichs gerade ausgepackt hatte, mußte diese unterwegs essen, der Gruppe nacheilend. Hinter ihm zog Masa murrend seine Rosinante.
In der fünften Nachmittagsstunde, nach rund dreißig Werst, bogen sie auf einen schmalen Feldweg ab. Nun waren sie in einer vollkommen wilden Gegend, in die bestimmt noch kein Europäer je einen Fuß gesetzt hatte. Fandorin entdeckte in den ärmlichen kleinen Dörfern keinerlei Anzeichen westlicher Zivilisation. Kinder und Erwachsene starrten mit offenem Mund nicht nur das Fahrrad an, sondern auch den rundäugigen, seltsam gekleideten Mann. Und das nur ein paar Wegstunden von Yokohama entfernt! Erst jetzt wurde dem Vizekonsul bewußt, wie dünn der Lack der Modernisierung war, mit dem die Herrscher die Fassade des alten Reiches überzogen hatten.
Mehrfach trafen sie auf Kühe – in bunten Schürzen mit aufgemalten Drachen und Strohschuhen über den Hufen. Die Dorfbewohner nutzten die derart imposant geschmückten Kühe als Last- und Zugtiere. Kamata bestätigte Fandorins Vermutung: Die Bauern hier aßen kein Fleisch und tranken keine Milch, sie seien noch völlig wild, aber keine Sorge, bald würde die Demokratie auch zu ihnen kommen.
Ihr Nachtlager schlugen sie in einem recht großen Dorf am Rand des Tals auf, gleich dahinter begannen die Berge. Der Dorfälteste brachte das »Artel« im Gemeindehaus unter, die »Arbeiter« auf dem Hof, die »Meister« und »Ingenieure« im Gebäude. Strohfußboden, keinerlei Möbel, löchrige Papierwände. Das war also das»hotelu«, von dem Kamata am Morgen gesprochen hatte. Außer ihnen wohnte darin nur noch ein Wandermönch mit Stock und Bettelsack, doch der hielt sich abseits und wandte sich die ganze Zeit ab – er wollte seine Augen nicht mit dem Anblick eines »behaarten Barbaren« besudeln.
Fandorin kam auf die kühne Idee, einen Spaziergang durchs Dorf zu machen, doch die Einwohner benahmen sich nicht besser als der Mönch – die Kinder liefen schreiend davon, die Frauen kreischten, die Hunde kläfften, so daß er schließlich umkehren mußte. Der Dorfälteste erschien, verbeugte sich, entschuldigte sich verlegen und bat den Gajin-san, nicht herumzulaufen.
»Furu pasanto newa si wait men«, übersetzte Kamata lachend. »Ju sakasu manki, shinku.«
Er trottete mit hängenden Armen und wiegendem Gang durchs Zimmer und lachte dabei schallend. Fandorin begriff nicht sofort, was er meinte: Im Dorf hatte man noch nie einen Weißen gesehen, aber einer der Einheimischen sei vor vielen Jahren mal in der Stadt gewesen und habe dort im Zirkus einen furchteinflößenden dressierten Affen gesehen, der ebenfalls eigentümlich gekleidet war. Fandorin habe genauso große und blaue Augen, darum seien die Ungebildeten so erschrocken.
Kamata ließ sich noch lange und mit Behagen über die Dummheit der Bauern aus. Ein japanisches Sprichwort lautet: »Eine Familie bleibt nicht länger reich oder arm als drei Generationen.« In der Tat sei das Leben in der Stadt so beschaffen, daß Reiche im Laufe von drei Generationen degenerierten, Arme dagegen aufstiegen, das sei das Gesetz des gerechten Gottes. Auf dem Land aber lebten Holzköpfe, die sich seit tausend Jahren nicht von ihrer Armut befreien könnten. Wenn ihre Eltern gebrechlich seien und nicht mehr arbeiten könnten, brachten die eigenen Kinder sie in die Berge und ließen sie dort sterben, um nicht sinnlos Nahrung zu vergeuden. Neues lernen mochten die Bauern nicht, ebensowenig in der Armeedienen. Wie man mit solchen Hornochsen ein großes Japan aufbauen solle, sei unbegreiflich. Aber da Tsurumaki-dono es nun einmal angepackt habe, werde
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