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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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hinauszuragen, obwohl auf der anderen Seite keine Menschenseele zu sehen war.
    Fandorin schätzte die Größe der Felsspalte ab. Sie war tief und steil – ausgeschlossen, da hochzuklettern. Aber sie war nicht breit, an der engsten Stelle, dort, wo auf der gegenüberliegenden Seite ein toter, verkohlter Baum stand, höchstens zehn Sashen. Vermutlich benutzen die Shinobi eine Zugbrücke oder etwas Ähnliches.
    »Und?« fragte Kamata ungeduldig. »Kommt man hinüber?«
    »Nein.«
    Der Kommandeur fluchte leise auf Japanisch, doch Fandorin verstand den Sinn seines Ausrufs: Ich hab doch gewußt, daß dieser verdammte Gaijin uns nichts nützen wird.
    »Man kommt nicht hin«, wiederholte Fandorin, während er zurückkroch. »Aber wir können dafür sorgen, daß sie selber rauskommen.«
    »Wie denn?«
    Seinen Plan erläuterte der Vizekonsul auf dem Rückweg.
    »Wir postieren Männer auf dem Berg, gegenüber der Schlucht. Warten, bis der Wind in Richtung Schlucht weht. Wir brauchen starken Wind, aber der ist in den Bergen keine Seltenheit. Wir zünden den Wald an. Wenn die Shinobi sehen, daß das Feuer auch auf ihre Insel übergreifen könnte, werden sie selber ihre Brücke auswerfen und herüberkommen, um das Feuer zu löschen. Wir töten die Männer, die zum Löschen herauskommen, und dringen dann über ihre Brücke ins Dorf vor.«
    Mit mehrmaligen Wiederholungen, Rückfragen und erklärenden Gesten nahm die Erläuterung des Planes den gesamten Rückweg bis zum Lager ein.
    Es war schon dunkel, man sah den Weg nicht mehr, doch Kamata bewegte sich sicher und zielstrebig.
    Als er Fandorins Vorhaben endlich verstanden hatte, dachte er lange nach. Er sagte: »Ein guter Plan. Aber nicht für die Shinobi. Die Shinobi sind schlau. Wenn auf einmal einfach so der Wald brennt, wittern sie, daß da was faul ist.«
    »Warum einfach so?« Fandorin zeigte zum Himmel, der von schwarzen Wolken verhüllt war. »Es ist die Zeit der Pflaumenregen. Es gibt häufig Gewitter. Besonders in den Bergen. Haben Sie die vielen verkohlten Bäume unterwegs gesehen? Das waren Blitzeinschläge. Es wird bestimmt Gewitter geben. Ein Blitzeinschlag, ein Baum brennt, und der Wind trägt das Feuer weiter. Ganz einfach.«
    »Bestimmt gibt es Gewitter«, bestätigte der Komandeur. »Aber wer weiß, wann? Wie lange warten? Einen Tag, zwei, eine Woche?«
    »Einen Tag, zwei, eine Woche …« Fandorin zuckte die Achseln und überlegte: Je länger, desto besser. Wir beide, mein Freund, habenverschiedene Interessen. Ich will O-Yumi retten, du willst die Schattenkrieger vernichten, und wenn sie mit ihnen zusammen stirbt, kümmert dich das nicht weiter. Ich brauche Zeit für gründliche Vorbereitungen.
    »Ein guter Plan«, wiederholte Kamata. »Aber nicht für mich. Ich werde keine Woche warten. Auch nicht zwei Tage. Ich habe auch einen Plan. Einen besseren als der Gaijin.«
    »Was für einen denn, wenn ich fragen darf?« fragte der Vizekonsul spöttisch, überzeugt, daß der alte Haudegen nur prahlte.
    Man hörte gedämpftes Wiehern und klirrendes Zaumzeug. Die Karawane hatte im Schutz der Dunkelheit die Talenge passiert.
    Die Schwarzjacken nahmen rasch Bündel und Kisten von den Maultieren. Holz knirschte, und im Licht der gedämpften Lampen blitzten Läufe von Winchestergewehren auf, noch glänzend vom Fabrikfett.
    »Waldbrand ist gut, das ist richtig«, murmelte Kamata zufrieden, während er das Entladen von vier gewaltigen Kisten beaufsichtigte.
    Sie enthielten eine zerlegte Gebirgskanone der Firma Krupp, 2,5 Zoll, neuestes Modell – solche hatte Fandorin unter den Trophäen gesehen, die sie im Krieg gegen die Türken erbeutet hatten.
    »Mit der Kanone schießen. Die Kiefern brennen. Die Shinobi kommen heraus. Wohin? Auf dem Grund der Felsspalte postiere ich Schützen. Auch auf der anderen Seite, am Abgrund. Wenn sie an Stricken runterklettern, schießen wir alle ab.«
    Kamata strich liebevoll über den Geschützlauf.
    Über Fandorins Rücken lief ein Frösteln. Genau das hatte er befürchtet! Statt einer gründlich geplanten Operation zur Rettung der Gefangenen ein blutiges Gemetzel, bei dem es keine Überlebenden geben würde.
    Mit dem alten Banditen zu streiten war sinnlos – er würde gar nicht zuhören.
    »Nun, Ihr Plan ist in der Tat einfacher.« Der Vizekonsul tat, als unterdrücke er ein Gähnen. »Wann fangen wir an?«
    »Eine Stunde nach dem Morgengrauen.«
    »Dann müssen wir ausschlafen. Mein Diener und ich schlagen unser Lager am Bach auf, dort ist es

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