Diamantene Kutsche
Auch hier kein Laut, kein Lichtschein.
Verwirrung und Unruhe mahnten den Vizekonsul zu doppelter Vorsicht. Bevor sie zu Tambas Haus gingen, das direkt über dem Abgrund stand, mußten sie genau wissen, was hinter ihnen lag. Darum liefen sie nicht weiter, sondern kehrten erst einmal um.
Im Zickzack umrundeten sie die ganze Insel. Sie fanden noch ein weiteres Haus, das den beiden vorigen glich. Sonst nichts.
Die ganze »Festung« bestand also aus vier Holzbauten, einen militärischen Stützpunkt gab es nicht.
Was, wenn die Shinobi ihre Höhle verlassen hatten und O-Yumi nicht hier war? Bei diesem Gedanken bekam Fandorin zum erstenmal wirklich Angst.
»Ikou!« 2 forderte er Masa auf und lief, nun nicht mehr im Zickzack , geradewegs dorthin, wo zwischen den Kiefern Leere gähnte.
Das Haus von Tamba XI. war als einziges auf drei Seiten von einer Lichtung umgeben. Auf der vierten Seite, das wußte Fandorin bereits, lag der Abgrund.
Blieb die Hoffnung, daß die Bewohner des unheimlichen Dorfes alle bei ihrem Anführer versammelt waren (Twiggs hatte gesagt, der heiße bei den Ninja Jonin).
An einen rauhen Baumstamm gepreßt, betrachtete Fandorin das Gebäude, das sich von den anderen nur durch seine Größe unterschied. Die Residenz des Anführers der Schattenkrieger hatte nichts Besonderes an sich. Fandorin verspürte eine Art Enttäuschung. Am schlimmsten aber war, daß auch dieses Haus leer zu sein schien.
War alles umsonst gewesen?
Der Vizekonsul überquerte rasch die Lichtung und stieg die Stufen zu der schmalen Terrasse hinauf, die sich über die gesamten Außenwände erstreckte. Masa blieb dicht hinter ihm.
Masa warf die Schuhe ab, und Fandorin folgte seinem Beispiel – nicht aus japanischer Höflichkeit, sondern um sich lautloser zu bewegen.
Die Tür stand einen Spalt offen, und Fandorin leuchtete mit seiner Taschenlampe ins Haus. Er sah einen langen, dunklen Flur; der Boden war mit Strohmatten bedeckt.
Masa verlor keine Zeit. Er tropfte ein wenig Öl aus einem kleinen Kännchen in die Nut und zog geräuschlos die Tür auf.
Ja, ein Flur. Ziemlich lang. Sieben gleiche Schiebetüren, drei links, drei rechts, eine am Ende.
Fandorin entsicherte seinen Revolver und öffnete behutsam die erste Tür rechts. Leer. Keinerlei Einrichtung, nur Tatami auf dem Boden.
Die Tür gegenüber öffnete er schon rascher. Wieder nichts. Ein leerer Raum, an der hinteren Wand ein dicker rechteckiger Balken.
»Verdammt!« murmelte der Vizekonsul.
Nun ging er schneller vor, ohne weitere Vorsichtsmaßnahmen. Er riß die Tür rechts auf, schaute hinein. Eine Nische an der Wand, darin eine Art Rolle.
Die zweite Tür links: Kein strohbedeckter Boden, sondern polierte Dielen, ansonsten nichts Besonderes.
Dritte rechts: Offenbar ein Gebetsraum – in der Ecke ein buddhistischer Altar, Statuetten, eine erloschene Kerze.
Dritte links: Nichts, kahle Wände.
Kein Mensch, absolut niemand! Leere!
Aber es war jemand hier gewesen, vor gar nicht langer Zeit – der Geruch japanischen Pfeifentabaks lag noch in der Luft.
Masa untersuchte das Zimmer mit dem Dielenboden. Er hockte sich hin, fuhr über das glatte Holz und ging, weil irgend etwas sein Interesse geweckt hatte, weiter hinein ins Zimmer.
Der Vizekonsul wollte seinem Diener folgen, doch da vernahm er hinter der siebten Tür, am Ende des Flurs, ein Rascheln und horchte auf. Aha! Da war jemand!
Es war ein seltsames Geräusch, ein wenig wie Atmen, allerdings nicht von einem Menschen, sondern von einem Riesen oder einem gewaltigen Ungeheuer – so tief und gewaltig klang es.
Aber mochte es auch ein Riese sein oder ein Ungeheuer – daswar Fandorin einerlei. Hauptsache keine Leere, nicht diese Totenstille!
Fandorin wartete ab, bis der unendlich lange Atemzug verstummt war, riß krachend die Tür auf und stürmte vorwärts.
Er konnte sich gerade noch am Geländer festhalten – am äußersten Ende des kleinen Holzstegs über dem Abgrund. Von allen Seiten umgab ihn das Nichts – Nacht, Himmel, gähnende Leere.
Erneut vernahm er den Atemzug des unsichtbaren Kolosses – es war der endlose Äther, von einem leichten Windhauch bewegt.
Unten schwarze Leere, oben die Sterne, ringsum die vom Mond beleuchteten Berge und in der Ferne, zwischen zwei Hängen, die Lichter im Tal.
Zitternd wich Fandorin zurück in den Flur.
Krachend zog er die Tür ins Nichts zu und rief: »Masa!«
Keine Antwort.
Er schaute in das Zimmer mit dem Dielenboden. Dort war sein Diener nicht.
»Masa!«
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