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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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einzigen Berührung lähmen konnte.
    »Wo hast du O-Yumi? Wo ist sie?«
    Tamba wehrte sich nicht, sein Kopf auf den schmächtigen Schultern wackelte.
    »Hier. Sie ist hier«, hörte Fandorin ihn sagen und löste seinen Griff.
    »Wo – hier?«
    »Zu Hause. Midori erwartet dich.«
    »Was für eine Midori?« Fandorin runzelte fragend die Stirn. »Wo ist meine O-Yumi?«
    Der Alte schaute ungerührt in seine Pfeife, sah, daß der Tabak verschüttet war, und stopfte sie erneut. Mit geblähten Backen entfachte er das Feuer und sagte dann: »Ihr richtiger Name ist Midori. Sie ist meine Tochter. Und ich habe sie nicht entführt. Das sollte mal jemand versuchen, sie zu entführen …«
    »Was?« Mehr brachte der verdatterte Fandorin nicht hervor.
    »Sie entscheidet alles selbst. Sie hat einen schrecklichen Charakter. Ich bin ein weichherziger Vater, sie macht mit mir, was sie will. Der echte Tamba hätte eine solche Tochter getötet.«
    »Wieso ›der echte Tamba‹?« Fandorin rieb sich heftig die Stirn, um seine Gedanken zu sammeln. »Und wer sind Sie?«
    »Ich bin sein Nachkomme im elften Glied.« Der Jonin wies mitder Pfeife auf das Porträt des Kriegers mit dem gehörnten Helm. »Ich bin ein gewöhnlicher, schwacher Mensch, nicht zu vergleichen mit meinem großen Vorfahr.«
    »Zum Teufel mit der G-genealogie!« rief Fandorin. »Wo ist meine O-Yumi?«
    »Midori«, korrigierte ihn der elfte Tamba erneut. »Sie hat dich richtig beschrieben: Du bist halbsehend, kurzflügelig und halbreif. Du hast einen scharfen Blick, aber er dringt nicht weit. Du fliegst energisch, aber nicht immer zielsicher. Dein Verstand ist scharf, aber nicht tief. Doch ich sehe unter deinem linken Jochbein einen kagebikari-Schatten, der besagt, daß du erst ganz am Anfang deines Weges bist und dich noch zum Besseren ändern kannst.«
    »Wo ist sie?« Fandorin sprang auf, nicht gewillt, sich diesen Unsinn weiter anzuhören. Er sprang auf – und prallte mit dem Kopf gegen Holz, denn die Decke war zu niedrig für seine Größe.
    Sein Kopf dröhnte, vor seinen Augen schwammen Kreise, doch der Alte, der sich als O-Yumis Vater bezeichnete, unterbrach seine Rede keinen Augenblick.
    »Hätte ich die Inuoka-Beulen beiderseits deiner Stirn rechtzeitig bemerkt, würde ich nicht die Viper auf dich gehetzt haben. Solche wie du werden von Hunden und Schlangen nicht gebissen, von Wespen nicht gestochen. Die Dinge und die Tiere lieben dich. Du bist von ganz besonderer Art. Darum habe ich dir meine Tochter geschickt.«
    Nun unterbrach Fandorin ihn nicht mehr. O-Yumi hatte erwähnt, daß ihr Vater ein unübertroffener Ninso-Meister war! Sollte wirklich stimmen, was er da sagte?
    »Midori hat dich genau studiert und mir bestätigt: Ja, du bist etwas Besonderes. Einen solchen Menschen zu töten wäre schade. Du könntest großen Nutzen bringen.«
    »Wo ist sie?« fragte Fandorin mit erloschener Stimme. »Ich muß sie sehen.«
    Tamba langte zur Wand, drückte irgend etwas, und die Wand glitt zur Seite.
    Im von Papierlampen hellerleuchteten Nebenzimmer saß O-Yumi, in einem weißroten Kimono, mit hoher Frisur. Vollkommen reglos, mit erstarrtem Gesicht, glich sie einer wunderschönen Puppe. Fandorin trennten nur fünf Schritte von ihr.
    Er stürzte zu ihr, doch O-Yumi rührte sich nicht, und er wagte nicht, sie zu umarmen.
    Sie ist berauscht, schoß ihm durch den Kopf, aber ihr Blick war vollkommen klar und ruhig. Fremd und unnahbar saß O-Yumi vor ihm, nur eine Armlänge entfernt, doch die Distanz schien unüberwindlich. Sie war nicht die Frau, die er liebte, doch jene andere hatte offenbar nie existiert.
    »Was …? Weshalb …? Warum …?« stammelte der bleiche Fandorin zusammenhanglos. »Du bist eine Ninja?«
    »Die beste aus dem Momoti-Clan«, sagte Tamba stolz. »Sie kann fast alles, was ich kann. Und außerdem beherrscht sie Künste, die mir verschlossen sind.«
    »Ich weiß.« Fandorin lachte bitter. »Zum Beispiel Jojutsu. Du hast sie in ein Bordell geschickt, damit sie dort alle Raffinessen lernt.«
    »Ja. Ich habe sie nach Yokohama geschickt. Hier in den Bergen hätte niemand sie gelehrt, eine Frau zu sein. Außerdem sollte Midori die ausländischen Barbaren studieren, weil Japan sie braucht.«
    »Er hat dich beauftragt, mich zu studieren?« fragte Fandorin die versteinerte Frau. Wieder antwortete ihm Tamba: »Ja. Ich werde dir erzählen, wie es war. Ich bekam den Auftrag, die Samurai zu beschützen, die hinter Minister Okubo her waren. Meine Leute hätten ihn

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