Diamantene Kutsche
wahrscheinlich mesmerisieren oder hypnotisieren oder wie das bei ihnen heißen mag, aber er will nicht, begriff Fandorin.
Midori sah ihn kurz an, und er las die Bitte in ihren Augen. Oder schien es ihm nur so? Eine Frau wie sie würde nie um etwas bitten, nicht einmal um die Rettung ihres Vaters.
Wie zur Bestätigung senkte sie erneut den Kopf.
Fandorin zwang sich, an seine toten Freunde zu denken: anLockstone, zuverlässig wie Stahl; an Asagawa, den Ritter der Gerechtigkeit; an Doktor Twiggs, den Vater zweier herzkranker Mädchen.
Man kann unmöglich auf jemanden schießen, der nicht versucht, sich zu verteidigen; doch der in Fandorins Herzen aufgeflammte Schmerz verlangte nach einem Ventil – sein Finger verkrampfte sich, so unbändig war sein Wunsch, auf den Abzug zu drücken.
Es gibt Dinge, die darf man nicht verzeihen, sonst gerät die Welt aus dem Gleichgewicht, sagte sich Fandorin.
Er riß die Hand ein Stück zur Seite und schoß.
Der Lärm betäubte seine Ohren.
Midori griff sich an die Schläfen, sah aber nicht auf.
Tamba hingegen regte keinen Muskel. An seiner Schläfe prangte ein roter Verbrennungsstreifen.
»Na also«, sagte er friedfertig. »Dein Feind Tamba ist tot. Geblieben ist nur dein Freund Tamba.«
Heute ist ein Fest.
Sieg! Der Feind ist vernichtet.
Welche Einsamkeit!
Die Liebe der Maulwürfe
Von irgendwo oben kam gedämpftes Grollen. Fandorin hob den Kopf. Gewitter? Es krachte erneut, doch diesmal begleitete ein Knattern den Donner.
»Was ist das?« Fandorin sprang auf.
»Kamata schießt aus seiner Kanone.« Auch Tamba erhob sich. »Er hat doch nicht bis zum Morgengrauen gewartet. Offenbar ahnt er, daß ihr bei uns seid, du und dein Diener.«
Der Jonin wußte also auch von Kamatas Plan!
»Du weißt Bescheid? Woher?«
»Dies sind meine Berge. Jeder Baum hat Ohren, jeder Grashalm Augen. Gehen wir, bevor diese Dummköpfe zufällig eines der Häuser treffen.«
Tamba stand unter der Luke, ging in die Hocke und sprang dann federnd hoch – so hoch, daß er auf dem Rand der Öffnung sitzend landete. Ein kurzes Aufblitzen seiner Füßen in den weißen Socken, und schon war der flinke Alte oben.
Fandorin sah sich nach Midori um und zuckte zusammen – das Zimmer nebenan war leer. Wann war sie verschwunden?
Tamba erschien in dem Loch in der Decke.
»Gib mir die Hand!«
Doch das unterließ Fandorin – das wäre demütigend gewesen. Ein wenig mühsam zog er sich selbst hoch, wobei er sich den Ellbogen an einem Brett stieß.
Der Jonin trug eine schwarze Hose und einen schwarzen Kittel. Als er auf die Terrasse hinauslief, zog er schwarze Lederstrümpfe an und eine Maske über den Kopf – nun war er fast unsichtbar.
In der Dunkelheit zuckte eine Feuersäule auf, Steine und Erdbrocken flogen nach allen Seiten.
Tamba war nicht mehr neben Fandorin, er hatte sich in der Dunkelheit aufgelöst. Von oben (vom Dach?) sprang ein schwarzer Schatten herab. Er berührte lautlos mit den Füßen die Erde, rollte kopfüber ab, erhob sich leichtfüßig und war im nächsten Augenblick ebenfalls verschwunden. Fandorin spürte noch an mehreren weiteren Stellen einen Luftzug – auch dort huschten dunkle Silhouetten vorüber.
Die Detonationen krachten so häufig, als schieße eine ganze Batterie. Die Schnellfeuerkanone der Firma Krupp schafft drei Schuß pro Minute, erinnerte sich Fandorin aus dem Türkenkrieg. Die Schwarzjacken hatten vermutlich auf der Bergkuppe Stellung bezogen. Der Vizekonsul beobachtete die Einschläge genauer undbegriff Kamatas Taktik: Er beschoß das Terrain im Schachbrettmuster, im Abstand von je zwei, drei Sashen. Offenbar wollte er die gesamte Waldinsel umpflügen. Früher oder später würde es auch die Häuser treffen. Eine Kiefer brannte bereits – in der Dunkelheit blühte eine grellrote Blume.
Was tun, wohin fliehen?
Ein Schatten blieb neben Fandorin stehen, packte seine Hand und zog ihn mit sich.
Sie hatten die Mitte des Waldes erreicht, als ganz in der Nähe eine Granate einen Baum traf. Der Stamm knirschte, Splitter flogen, und die beiden ließen sich auf den Boden fallen. Der nächste Einschlag wühlte folgerichtig in zehn Schritt Entfernung die Erde auf. Im schwarzen Gesicht des Ninja leuchteten die Augen auf – länglich, feucht, voller Licht.
Sie!
Midori stand auf und nahm erneut Fandorins Hand, um mit ihm weiterzulaufen, doch statt dessen zog er sie an sich.
Nun krachte auf der anderen Seite eine Detonation, und Fandorin sah ihre Augen wieder ganz
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