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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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auch das Unglück hört schlecht.
    »Ich weiß es wieder – Epikur!« rief der Vizekonsul und riß ein Buch mit Goldschnitt vom Regal. »Ja! Da ist es!«
    »Was?« fragte der werdende Vater. Doch Fandorin murmelte nur: »Später, später, jetzt hab ich keine Zeit« und rannte polternd hinaus.
     
    Den verabredeten Ort erreichte er nicht. Auf der Yatobashi-Brücke, hinter der der eigentliche Bluff begann, rief ein junger, europäisch gekleideter Japaner den Velozipedisten an.
    Er lüpfte höflich seinen Strohhut und sagte: »Mister Fandorin, möchten Sie nicht einen Tee trinken?« Er zeigte auf das Schild »English & Japanese Tea Parlour«.
    Fandorin hatte keineswegs die Absicht, Tee zu trinken, doch die persönliche Anrede zeitigte die gewünschte Wirkung. Er mustertedie nicht sehr große, aber schlanke Gestalt des Japaners, registrierte vor allem dessen ruhigen, außerordentlich ernsten Blick – ungewöhnlich für einen so jungen Mann – und fragte: »Sind Sie Den? Der Medizinstudent?«
    »Zu Ihren Diensten.«
    Die Teestube war eine gemischte Einrichtung, wie es in Yokohama viele gab: In einem Teil standen Tische und Stühle, im anderen lagen Matten und Kissen.
    Die englische Hälfte war zu dieser frühen Stunde fast leer, nur an einem Tisch saß ein Pastor mit Frau und fünf Töchtern; sie tranken Tee mit Milch.
    Fandorins Begleiter führte ihn weiter hinein. Im japanischen Teil saßen noch weniger Gäste – eigentlich nur einer: Ein hagerer Alter in ausgeblichenem Kimono.
    »Warum hier? Warum nicht auf dem Hügel?« fragte Fandorin und setzte sich. »Dort sind Schwarzjacken, ja?«
    Die Augen des Jonin verharrten forschend auf dem versteinerten Gesicht des Vizekonsuls.
    »Ja. Woher weißt du das?«
    »Als Tsurumaki keine Meldung bekam, wußte er, daß auch seine zweite Gruppe vernichtet war. Er wartet auf die Vergeltung und hat sich verschanzt. Und das mit dem Hügel, von wo man d-das ganze Haus sehen kann, hat ihm Shirota verraten. Sag mir lieber, wie du erraten hast, daß ich aus dieser Richtung kommen würde?«
    »Gar nicht. Auf dem Weg vom Hippodrom wartet dein Diener. Er hätte dich auch hierhergeführt.«
    »Man k-kommt also nicht ins Haus?«
    »Ich habe lange auf einem Baum gesessen und durch ein Gaijin-Vergrößerungsrohr geschaut. Es steht schlecht. Tsurumaki geht nicht hinaus. Das ganze Grundstück ist von Posten umstellt. Wir müssen die Rache verschieben. Vielleicht um Wochen, Monate oder gar Jahre. Aber das macht nichts: Rache ist ein Gericht, dasnicht verdirbt.« Tamba rauchte bedächtig seine kleine Pfeife. »Ich werde dir erzählen, wie mein Urgroßvater Tamba VIII. sich an seinem Beleidiger gerächt hat. Ein Auftraggeber, ein mächtiger Daimyo, wollte für einen erledigten Auftrag nicht zahlen und tötete den Shinobi, der das Geld abholen wollte. Es war viel Geld, und der Daimyo war geizig. Er beschloß, seinen Palast nie mehr zu verlassen. Er hielt sich nur in seinen Gemächern auf und ließ keinen Fremden zu sich. Da befahl Tamba VIII. seinem Sohn, einem neunjährigen Jungen, sich in der Palastküche zu verdingen. Der Junge war fleißig und rückte immer weiter auf. Zuerst fegte er den Hof. Dann den hinteren Teil eines Zimmers. Dann wurde er Koch für die Dienstboten, bald Schüler des fürstlichen Kochs. Lange lernte er, eine bestimmte Paste aus der Haiblase herzustellen – das verlangt großes Können. Mit neunzehn brachte er es schließlich zu solcher Meisterschaft, daß man ihm gestattete, die komplizierte Speise für den Fürsten zuzubereiten. Das war der letzte Tag im Leben des Daimyo. Eine Rache nach zehn Jahren.«
    Fandorin hörte sich die anschauliche Geschichte an und dachte: Zehn Jahre mit zusammengepreßten Lungen? O nein!
    Allerdings kam ihm auch ein anderer Gedanke: Was, wenn auch Rache nicht half?
    Die Frage blieb unbeantwortet. Statt dessen stellte Fandorin laut eine andere: »Hast du durch dein Vergrößerungsrohr Shirota gesehen?«
    »Ja, sehr oft. Auf dem Hof und im Haus.«
    »Und eine weiße Frau? Groß, mit gelben Haaren, zu einem langen Zopf geflochten?«
    »Im Haus sind keine Frauen. Nur Männer.« Der Jonin musterte sein Gegenüber noch eindringlicher.
    »Das dachte ich mir. Shirota hat seine V-verlobte an einen sicheren Ort gebracht.« Fandorin nickte zufrieden. »Wir müssen nicht zehn Jahre warten. Und wir brauchen auch keine Haiblase.«
    »Was brauchen wir dann?« fragte Tamba ganz leise, als wolle er die nahe Beute nicht verscheuchen.
    Sein Neffe beugte sich weit

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