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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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shoot!« 1
    Auf der Schwelle stand Konsul Doronin – in einem japanischen Hausmantel, einen Revolver in der Hand.
    »Ich bin’s, Fandorin«, sagte der Vizekonsul ruhig, wobei er sich nur kurz umdrehte, um sogleich wieder in Büchern zu blättern. »Guten Tag, Wsewolod Vitaljewitsch.«
    »Sie?« rief der Konsul, die Waffe noch immer erhoben (vermutlich vor Überraschung). »Ich sah Licht in Ihrem Fenster, und die Tür stand weit offen. Ich dachte – Diebe oder noch Schlimmeres … Mein Gott, Sie leben! Wo haben Sie sich rumgetrieben? Sie waren eine ganze Woche weg! Ich dachte schon … Und wo ist Ihr Japaner?«
    »In Tokio«, erwiderte Fandorin knapp, schleuderte ein Werk von Proudhon beiseite und griff nach einem Roman von Disraeli.
    »Und … Und Frau O-Yumi?«
    Fandorin erstarrte mit dem Buch in der Hand – so sehr verstörte ihn diese einfache Frage.
    Tatsächlich – wo war sie jetzt? Es konnte doch nicht sein, daß sie nirgends mehr war! War sie in einen anderen Körper gewandert, wie der buddhistische Glaube lehrte? Oder ins Paradies gelangt, wo alles wahrhaft Schöne seinen Platz hat? Oder in die Hölle, wo die Sünder weilen?
    »Ich weiß nicht«, murmelte er nach einer langen Pause verwirrt.
    Der Ton seines Stellvertreters hielt Doronin davon ab, ihn weiter nach seiner Geliebten zu fragen. Wäre Fandorin in normaler Verfassung gewesen, hätte er bemerkt, daß der Konsul ebenfalls recht sonderbar aussah: Er trug keine Brille, seine Augen glänzten erregt, sein Haar war zerzaust.
    »Wie war Ihre Expedition in die Berge? Haben Sie Tambas Höhle gefunden?« fragte Doronin ohne sonderliches Interesse.
    »Ja.«
    Ein weiteres Buch flog auf den Haufen.
    »Und?«
    Die Frage blieb unbeantwortet, und wieder insistierte der Konsul nicht weiter. Endlich ließ er die Waffe sinken.
    »Was suchen Sie da?«
    »Ach, ich habe etwas in ein Buch g-gesteckt und weiß nicht mehr, in w-welches«, sagte Fandorin ärgerlich. »Vielleicht in den Bulwer-Lytton 2 ?«
    »Wissen Sie, was hier inzwischen passiert ist?« Der Konsul lachte auf. »Bucharzew, das Schwein, hat klammheimlich eine Denunzation gegen Sie verfaßt, und zwar gleich an die Geheimpolizei. Daraufhin kam vorgestern ein Telegramm, unterzeichnet vom obersten Gendarmeriechef, Generaladjutant Misinow: ›Fandorin soll tun, was er für richtig hält.‹ Bucharzew ist endgültig vernichtet. Für den Gesandten sind Sie nun der wichtigste Mann. Der Baron hat Sie vor lauter Schreck sogar für einen Orden vorgeschlagen.«
    Die freudige Nachricht interessierte den Vizekonsul nicht im geringsten; er wurde allmählich ungeduldig.
    Es war ein eigenartiges Gespräch: Keiner hörte dem anderen zu, jeder dachte an seins.
    »Was für ein Glück, daß Sie wieder da sind!« rief Doronin. »Und gerade heute! Wahrhaftig ein Zeichen des Schicksals!«
    Nun erst riß sich Fandorin von seiner Suche los, schaute den Konsul an und begriff, daß dieser eindeutig nicht bei Sinnen war.
    »Was ist m-mit Ihnen? Sie sind ganz rot.«
    »Rot? Tatsächlich?« Doronin griff sich verlegen an die Wange. »Ach, Fandorin, es ist ein Wunder geschehen! Ein wahres Wunder! Meine Obayashi erwartet ein Kind! Das hat der Doktor heute gesagt – es gibt keinen Zweifel! Ich hatte mich längst damit abgefunden, niemals Vater zu werden, und nun …«
    »Gratuliere.« Fandorin überlegte, was er noch sagen könnte, aber ihm fiel nichts mehr ein, also drückte er dem Konsul nur feierlichdie Hand. »Und w-warum ist meine Rückkehr ein Zeichen des Schicksals?«
    »Weil ich in den Ruhestand gehe! Das Gesuch habe ich bereits geschrieben. Mein Kind soll nicht unehelich geboren werden. Ich heirate. Aber nach Rußland kehre ich nicht zurück. Eine Japanerin würde man dort schief ansehen. Lieber lasse ich mich hier schief ansehen. Ich werde japanischer Staatsbürger und nehme den Namen meiner Frau an, ich werde Herr Obayashi. Schließlich soll mein Kind nicht ›schmutziger Mensch‹ heißen! Doch Gesuch hin oder her, schließlich muß ich die Geschäfte an irgend jemanden übergeben. Sie waren verschwunden, Shirota hat gekündigt. Ich hatte mich schon auf langes Warten eingestellt – bis man Ersatz schickt. Aber nun sind Sie wieder da! Was für ein glücklicher Tag! Sie leben, ich kann also die Geschäfte an Sie übergeben!«
    Das Glück hat kein feines Gehör, darum kam Doronin gar nicht in den Sinn, daß seine letzten Worte für seinen Stellvertreter ziemlich kränkend sein mußten, aber Fandorin war nicht beleidigt –

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