Diamantene Kutsche
Rußland, in einem schlichten Bauernhaus.‹«
»Vielleicht«, räumte Fandorin ein. »Jedenfalls – Sofja Diogenowna droht keine Gefahr. Ich habe k-keine Ahnung, wo Sie sie versteckt haben.«
»Sie haben also …. Sie wollten mich nur herauslocken!« Shirota verfärbte sich. »Nun, das ist Ihnen gelungen. Aber von mir erfahren Sie nichts! Selbst wenn Ihre Shinobi mich foltern.« Bei diesen Worten wurde er erneut blaß. »Lieber beiße ich mir die Zunge ab!«
Fandorin verzog das Gesicht.
»Niemand will Sie foltern. Sie können gleich aufstehen und gehen. Ich wollte Sie sehen, um Ihnen eine einzige Frage zu stellen. Die Sie nicht einmal beantworten müssen.«
Shirota, der gar nichts mehr verstand, murmelte: »Sie lassen mich gehen? Selbst wenn ich nicht antworte?«
»Ja.«
»Ich verstehe nicht ganz … Na schön, schön, fragen Sie.«
Fandorin blickte ihm in die Augen und sagte langsam: »Ich erinnere mich, Sie haben sich als mein F-freund bezeichnet. Und gesagt, Sie stünden für immer in meiner Schuld. Dann haben Sie mich verraten, obwohl ich Ihnen vertraute. Sagen Sie mir, Sie aufrechter Mann und Puschkinverehrer, rechtfertigt der Dienst am Vaterland etwa jede Niedertracht?«
Shirota runzelte angespannt die Stirn in Erwartung der Fortsetzung. Doch es kam keine.
»Das ist alles. Ich habe meine Frage gestellt. Sie müssen nicht d-darauf antworten. Und leben Sie wohl.«
Der Puschkinverehrer wurde erneut rot. Als Fandorin sich erhob, rief er: »Warten Sie, Erast Petrowitsch!«
»Let us go.« Fandorin winkte erschöpft Tamba und seinem Neffen.
»Ich habe Sie nicht verraten!« sagte Shirota hastig. »Ich habe Tsurumaki eine Bedingung gestellt: Daß Sie am Leben bleiben!«
»Danach haben seine Leute mehrfach versucht, mich zu töten. Die Frau, die mir teurer war als alles auf der Welt, ist tot. Ihretwegen. Leben Sie wohl, Sie aufrechter Mann.«
»Wo wollen Sie hin?« rief Shirota ihm nach.
»Zu Ihrem Beschützer. Ich habe mit ihm eine Rechnung zu begleichen.«
»Aber er wird Sie töten!«
»Wie das?« Fandorin drehte sich um. »Er hat Ihnen doch versprochen, mich am Leben zu lassen.«
Shirota stürzte zu ihm, packte ihn an der Schulter.
»Erast Petrowitsch, was soll ich tun? Wenn ich Ihnen helfe, verrate ich mein Vaterland! Wenn ich meinem Vaterland helfe, vernichte ich Sie, und dann bin ich ein Schurke, und mir bleibt nur noch, mich zu töten!« Seine Augen funkelten. »Ja, ja, das ist ein Ausweg! Wenn Tsurumaki Sie tötet, töte ich mich!«
In Fandorins erstarrter Seele regte sich eine Art Gefühl – es war Wut. Er schürte die schwache Glut, in der Hoffnung, daraus würde die rettende Flamme erwachsen, und zischte: »Wieso müßt ihr Japaner euch immer gleich töten, sobald ihr in moralische Bedrängnis geratet! Als ob eine Niedertracht davon zu einer edlen Tat würde! Das wird sie nicht! Und das Wohl des Vaterlandes spielt hier keine Rolle! Ich wünsche Ihrem v-verehrten Vaterland nichtsBöses, Böses wünsche ich nur einem Akunin namens Don Tsurumaki! Was ist, stehen Sie etwa auch in seiner ›ewigen Schuld‹?«
»Nein, aber ich glaube, daß dieser Mann Japan auf den Weg von Zivilisation und Fortschritt führen kann. Ich unterstütze ihn, weil ich Patriot bin!«
»Was würden Sie mit demjenigen tun, der Sofja Diogenowna tötet? Ach, wie Sie mit den Augen funkeln! Helfen Sie mir, meine Geliebte zu rächen, und dann dienen Sie Ihrem Vaterland, wer hindert Sie daran? Kämpfen Sie für eine Verfassung, festigen Sie Armee und Flotte, weisen Sie die ausländischen Mächte in die Schranken. Sind F-fortschritt und Zivilisation etwa auf den Banditen Tsurumaki angewiesen? Dann sind sie keinen Pfifferling wert. Und noch eins: Sie sagen, Sie seien Patriot. Kann jemand Patriot sein, der von sich weiß, daß er ein Schurke ist?«
»Ich muß nachdenken«, flüsterte Shirota und ging mit gesenktem Kopf zur Tür.
Als er draußen war, wollte Den ihm lautlos folgen, doch Tamba hielt ihn zurück.
»Schade, daß ich kein Russisch verstehe«, sagte der Jonin. »Ich weiß nicht, was du zu ihm gesagt hast, aber ich habe noch nie gesehen, daß innerhalb von fünf Minuten die Zone der Selbstzufriedenheit unter dem linken Wangenbein so unwiderruflich Kontur und Farbe gewechselt hat.«
»Freu dich nicht zu früh.« Fandorin registrierte wehmütig, daß die Flamme des Zorns nicht aufgelodert war – der Funke war zusammengefallen und erloschen, und wieder fiel ihm das Atmen schwer. »Er hat gesagt, er muß
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