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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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wirkte erschrocken, rührte sich aber nicht von der Stelle.
    Sie blickte sich ebenfalls um und flüsterte ihm ins Ohr: »Kriegsgericht, ja? Und dann – Zwangsarbeit? Oder … Oder Schlimmeres?«
    »Schlimmeres.« Er rückte ein wenig ab. »Tja, nichts zu machen, ich bin selber schuld. In jeder Hinsicht. Wirklich, meine Liebe, ich gehe jetzt besser.«
    »Um nichts auf der Welt! Ich lasse Sie doch nicht im Stich! Sie brauchen bestimmt Geld? Ich habe welches. Eine Zuflucht? Ich lasse mir etwas einfallen. Mein Gott, was für ein Unglück!« In ihren Augen schimmerten Tränen.
    »Nein, vielen Dank. Ich wohne bei … bei meiner Tante, derSchwester meiner seligen Mutter. Ich brauche nichts. Sie sehen ja, wie ich rausgeputzt bin … Wirklich, man schaut bereits auf uns.«
    Die Lidina griff nach seinem Arm.
    »Sie haben recht. Steigen Sie in die Droschke, wir klappen das Verdeck hoch.«
    Widerstand war zwecklos – er wußte bereits, daß sie stets ihren Kopf durchsetzte. Bemerkenswerterweise war Rybnikows eiserner Wille in diesem Augenblick wenn nicht geschwächt, so zumindest zeitweise abgelenkt, und er setzte mechanisch den Fuß aufs Trittbrett.
    Sie fuhren durch Moskau und redeten über dies und das. Das geschlossene Verdeck verlieh auch dem harmlosesten Thema eine Intimität, die Rybnikow erschreckte. Mehrfach war er entschlossen, an der nächsten Ecke auszusteigen, aber es gelang ihm nicht. Die Lidina dagegen beschäftigte nur eines: Wie sie dem armen Flüchtling helfen könne, über dem drohend das Damoklesschwert des Kriegsgerichts hing.
    Als Rybnikow sich endlich verabschiedete, mußte er versprechen, am nächsten Tag auf den Pretschistenski-Boulevard zu kommen. Glikerija würde wieder in einer Droschke sitzen, ihn wie zufällig entdecken, und er sollte erneut zusteigen. Nichts Verdächtiges, eine ganz normale Straßenszene.
    Als Rybnikow ihr das Versprechen gab, war er überzeugt, daß er es brechen würde, am nächsten Tag jedoch zeigte der eiserne Wille des harten Mannes erneut das erwähnte rätselhafte Phänomen. Punkt fünf trugen ihn die Beine wie von selbst zum verabredeten Ort, und die Spazierfahrt wiederholte sich.
    Ebenso am Tag darauf und wieder darauf.
    Ihre Beziehung enthielt keine Spur von Flirt – darauf achtete Rybnikow strikt. Keinerlei Andeutungen, Blicke oder um Gottes willen gar Seufzer. Sie führten meist ernste Gespräche, und auchder Ton war nicht der, in dem ein Mann üblicherweise mit einer schönen Dame spricht.
    »Ich fühle mich wohl mit Ihnen«, bekannte die Lidina eines Tages. »Sie sind anders. Sie machen sich nicht interessant, machen keine Komplimente. Ich spüre, daß Sie mich nicht in erster Linie als weibliches Wesen sehen, sondern als Menschen, als Persönlichkeit. Ich hätte nie gedacht, daß ich einmal mit einem Mann befreundet sein könnte und daß das so angenehm ist!«
    Daraufhin mußte sich sein Gesichtsausdruck verändert haben, denn plötzlich wurde sie rot und rief schuldbewußt: »Ach, was bin ich für eine Egoistin! Ich denke nur an mich! Und Sie stehen am Rande des Abgrunds!«
    »Ja, ich stehe am Rande des Abgrunds«, murmelte Rybnikow dumpf, und das klang so überzeugend, daß ihr Tränen in die Augen traten.
     
    Glikerija dachte nun unentwegt an den armen Wassja (so nannte sie ihn im stillen) – bevor sie sich trafen und danach. Wie konnte sie ihm helfen? Wie ihn retten? Er war so zerstreut, so hilflos, so gänzlich ungeeignet für den Militärdienst. Was für eine Dummheit, einen solchen Mann in einen Offiziersrock zu stecken! Sie brauchte nur daran zu denken, wie er darin ausgesehen hatte! Na schön, er hatte irgendwelche Zeichnungen verloren, mein Gott, war das etwa wichtig? Bald war der Krieg vorbei, dann würde niemand mehr an diese Papiere denken, aber das Leben eines guten Menschen wäre für immer ruiniert.
    Zu jeder Begegnung kam sie beflügelt von einem neuen Rettungsplan. Mal schlug sie vor, einen begabten Zeichner zu engagieren und ihn eine ebensolche Zeichnung anfertigen zu lassen, mal wollte sie sich an einen hohen Gendarmeriegeneral wenden, einen guten Bekannten, der ihr keine Bitte abschlagen würde.
    Doch Rybnikow lenkte das Gespräch jedesmal auf abstrakteDinge. Von sich sprach er nur wenig und widerwillig. Die Lidina wollte gern wissen, wo und wie er seine Kindheit verbracht hatte, doch er erzählte nur, als kleiner Junge habe er gern Libellen gefangen, um sie dann einen steilen Abhang hinunterzuwerfen und zuzuschauen, wie sie im Zickzack

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