Diamantene Kutsche
über der Leere taumelten. Außerdem habe er gern Vogelstimmen imitiert – und er imitierte tatsächlich so täuschend echt einen Kuckuck, eine Elster und eine Blaumeise, daß Glikerija ihm Beifall klatschte.
Am fünften Tag ihrer Spazierfahrten kehrte Rybnikow gedankenversunken nach Hause zurück. Erstens, weil seine beiden Projekte in knapp einem Tag in das entscheidende Stadium eintraten. Und zweitens, weil er wußte: Er hatte Glikerija heute zum letztenmal getroffen.
Sie war heute besonders lieb gewesen und hatte Rybnikow gleich zwei Rettungspläne offeriert: Der erste war der bereits erwähnte Gendarmeriegeneral, und der zweite, der ihr besonders gefiel: eine Flucht ins Ausland. Begeistert schilderte sie Rybnikow die Vorzüge dieser Idee und kam immer wieder darauf zurück, obwohl er sofort eingewandt hatte, daß man ihn unweigerlich an der Grenze verhaften würde.
Der flüchtige Stabskapitän lief mit erbittert vorgeschobenem Unterkiefer den Boulevard entlang und schaute vor lauter Nachdenklichkeit nicht auf seine spiegelnde Uhr.
Als er das Pensionat erreicht hatte und in seiner separaten Wohnung angelangt war, schaute er aus gewohnter Vorsicht dennoch hinterm Vorhang verborgen aus dem Fenster. Und knirschte mit den Zähnen: Auf dem gegenüberliegenden Trottoir stand eine Droschke mit hochgeklapptem Verdeck – trotz des schönen Wetters. Der Kutscher starrte auf die Fenster des Pensionats, ein Passagier war nicht zu sehen.
Rasche, zusammenhanglose Gedanken schwirrten Rybnikow durch den Kopf:
Wie? Warum? Gräfin Bovada? Ausgeschlossen. Aber sonst wußte niemand Bescheid.
Die alten Kontakte waren abgebrochen, neue noch nicht geknüpft.
Es gab nur eine Möglichkeit: Die verdammte Agentur Reuter. Einer der von ihm interviewten Generale wollte etwas korrigieren oder ergänzen, hatte bei der Moskauer Vertretung der Nachrichtenagentur angerufen und erfahren, daß es dort keinen Stan gab. Aufgeregt hatte sich der Interviewte an die Geheimpolizei gewandt … Aber selbst wenn es so gewesen war – wie hatten sie ihn gefunden?
Wahrscheinlich schien nur eines: durch Zufall.
Ein Agent hatte ihn nach der Beschreibung (ach, er hätte wenigstens seine Garderobe wechseln sollen!) auf der Straße erkannt und observierte ihn nun.
Aber wenn es nur Zufall war, dann ist noch nichts verloren, sagte sich Rybnikow und beruhigte sich sofort.
Er schätzte die Entfernung bis zur Droschke: sechzehn, nein siebzehn Schritte.
Seine Gedanken wurden immer kürzer und zielstrebiger.
Zuerst der Passagier, der ist Profi. Ein Herzanfall. Ich wohne hier – komm, Bruder, hilf mir, ihn reinzutragen … Beatrice wird ungehalten sein. Egal, mitgegangen, mitgefangen. Und die Droschke? Am Abend, darum kümmere ich mich am Abend.
Den Rest überlegte er schon auf dem Weg. Gemächlich, gähnend ging er auf die Treppe hinaus und reckte sich. Seine Hand schwang lässig ein langes Mundstück – leer, ohne Papirossa. Dann zog er ein flaches Tablettendöschen aus der Tasche, nahm etwas heraus und steckte es sich in den Mund.
Als er am Kutscher vorbeiging, bemerkte er, daß der ihn verstohlen anschaute.
Rybnikow beachtete ihn nicht weiter. Er steckte sich das Mundstückzwischen die Zähne, riß rasch das Verdeck auf – und erstarrte.
In der Droschke saß Glikerija.
Totenblaß riß Rybnikow das Mundstück heraus, hustete und spuckte etwas in sein Taschentuch.
Sie wirkte nicht im geringsten verlegen. Schelmisch lächelnd sagte sie: »Hier wohnen Sie also, Herr Konspirator! Ihre Tante hat ein schönes Haus.«
»Sie sind mir gefolgt?« brachte Rybnikow heraus und dachte: Nur eine Sekunde, den Bruchteil einer Sekunde, und …
»Schlau, nicht?« Glikerija lachte. »Ich bin in eine andere Droschke gestiegen und Ihnen nachgefahren, im Schrittempo und mit etwas Abstand. Ich habe gesagt, Sie wären mein Mann und ich verdächtigte Sie, daß sie mich betrügen.«
»Aber … wozu?«
Sie wurde ernst.
»Sie haben mich so angesehen, als ich sagte: bis morgen … Ich fühlte, daß Sie morgen nicht kommen würden. Und überhaupt nie mehr. Und ich weiß nicht einmal, wo ich Sie suchen soll. Ich sehe es doch, unsere Begegnungen belasten Ihr Gewissen. Sie glauben, Sie bringen mich in Gefahr. Und wissen Sie, was ich mir überlegt habe?« rief sie plötzlich lebhaft. »Stellen Sie mich Ihrer Tante vor. Sie ist Ihre Verwandte, ich bin Ihr Freund. Sie ahnen nicht, was für eine Macht das ist – zwei verbündete Frauen.«
»Nein!« Rybnikow wich entsetzt
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