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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Tenor gefühlvolle Romanzen.
    Der Umgang mit den Mädchen war für Rybnikow in der Tat ein Gewinn. Ihr Geschwätz, richtig gelenkt, war nicht weniger nützlich als das riskante Herumrennen nach angeblichen Interviews. Das Etablissement der Gräfin Bovada hatte einen guten Ruf und wurde von hochgestellten Herren besucht. Manchmal besprachen sie im Salon dienstliche Angelegenheiten und ließen anschließend, im Séparée, mitunter hochinteressante Andeutungen fallen. Vermutlich glaubten sie, daß die hohlköpfigen Mädchen ohnehin nichts verstanden. Zwar war keine der jungen Damen eine Sofja Kowalewskaja, aber sie alle hatten ein gutes Gedächtnis und verbreiteten leidenschaftlich gern Klatsch.
    So halfen die Teestunden am Klavier Rybnikow nicht nur, die Zeit totzuschlagen.
    Leider konzentrierte sich die Phantasie der jungen Damen in der ersten Zeit der freiwilligen Klausur des Stabskapitäns völlig auf eine Sensation, von der die ganze altehrwürdige Metropole sprach. Die Polizei hatte endlich die berühmte Bande der »Rasanten« gefaßt. Darüber wurde in Moskau mehr geschrieben und gesprochen als über Tsushima. Es war bekannt, daß zur Ergreifung der dreisten Räuber eigens ein Spezialtrupp der besten Detektive aus Petersburg geschickt worden war – das schmeichelte den Moskauern.
    Im Pensionat wußten alle, daß einer der »Rasanten«, ein schöner Pole, häufig die rothaarige Manon mit dem Spitznamen »Waffel« besucht hatte; darum trug Waffel nun schwarz, tat geheimnisvoll und wurde von den anderen Mädchen beneidet.
    In diesen Tagen ertappte Rybnikow sich mehrfach dabei, daß ihm seine Reisegefährtin in den Sinn kam – vielleicht, weil die Lidina das genaue Gegenteil der sentimentalen, aber im Grunde herzlosenBewohnerinnen des Pensionats Saint-Saëns war. Er mußte daran denken, wie Glikerija zur Notbremse gestürzt war oder wie sie, die Lippen zusammengebissen, mit einem Streifen aus ihrem Kleid das blutende Bein eines Verletzten verband.
    Verwundert über sich selbst, verscheuchte der Einsiedler diese Bilder, denn sie hatten nicht das geringste zu tun mit seinem Leben und seinen jetzigen Interessen.
    Um sich Bewegung zu verschaffen, machte er Spaziergänge durch die Boulevards – bis zur Erlöserkirche und zurück. Da er Moskau nicht sonderlich gut kannte, war er ungemein erstaunt, als er zufällig den Namen der Straße las, die von der berühmten Kirche schräg aufwärts führte.
    Sie hieß »Ostoshenka«.
    »Das Bomse-Haus in der Ostoshenka«, glaubte Rybnikow die sanfte Stimme mit den prononcierten Petersburger Konsonanten zu hören.
    Er ging die mit prächtigen Häusern bebaute Asphaltstraße hinauf, besann sich aber rasch und kehrte wieder um.
    Dennoch machte er es sich fortan zur Gewohnheit, wenn er das hufeisenförmige Ende des Boulevards erreicht hatte, einen kleinen Bogen über die Ostoshenka zu laufen. Dabei kam er auch am Bomse-Haus vorbei – einem eleganten dreistöckigen Gebäude. Vom Müßiggang ungewohnt entspannt, gestattete er sich, wenn er die schmalen Wiener Fenster betrachtete, kleine Träumereien von Dingen, die niemals und unter keinen Umständen geschehen durften.
    Und eines Tages passierte es.
    Am fünften Tag seiner Spaziergänge wurde der falsche Reporter, der mit seinem Spazierstock die Ostoshenka zur Lesnoi-Durchfahrt hinauflief, aus einer Droschke angerufen: »Wassili Alexandrowitsch! Sind Sie es?«
    Die Stimme klang hell und freudig.
    Rybnikow erstarrte geradezu und verfluchte sich innerlich für seinen Leichtsinn. Er drehte sich langsam um und mimte Erstaunen.
    »Wo sind Sie denn abgeblieben?« zwitscherte die Lidina empört. »Sie sollten sich schämen, Sie hatten es doch versprochen! Warum sind Sie in Zivil? Ein ausgezeichnetes Jackett, das kleidet Sie viel besser als der scheußliche Uniformrock! Wie ist die Sache mit den Zeichnungen ausgegangen?«
    Die letzte Frage stellte sie, nachdem sie aufs Trottoir heruntergesprungen war, im Flüsterton.
    Rybnikow drückte behutsam die schmale Hand im Seidenhandschuh. Er war verwirrt, was ihm selten widerfuhr – eigentlich nie.
    »Schlecht«, brachte er schließlich hervor. »Ich muß mich verstecken. Darum bin ich in Zivil. Und darum bin ich auch nicht gekommen … Von mir hält man sich im Moment besser fern.« Um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen, warf er einen Blick über die Schulter und senkte die Stimme. »Fahren Sie lieber weiter, und ich gehe meiner Wege. Wir sollten keine Aufmerksamkeit erregen.«
    Die Lidina

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