Diamantene Kutsche
zurück. »Auf keinen Fall!«
»Nun, dann gehe ich allein hinein«, verkündete Glikerija und sah nun ebenso entschlossen aus wie neulich im Gang des Kurierzuges.
»Gut, wenn Sie durchaus wollen … Aber ich muß meine Tante vorwarnen, Sie hat ein krankes Herz und verträgt keine Überraschungen«, schwafelte Rybnikow in Panik. »Meine Tante betreibt ein Mädchenpensionat. Dort herrschen bestimmte Regeln … Kommen Sie lieber morgen. Ja, ja, morgen. Gegen Abend …«
»Zehn Minuten«, sagte sie schroff. »Ich warte zehn Minuten, dann komme ich herein.«
Sie griff demonstrativ nach der kleinen Brillantuhr, die sie um den Hals trug.
Gräfin Bovada war eine Person von außerordentlicher Geistesgegenwart, das wußte Rybnikow seit langem. Sie verstand auf Anhieb, verschwendete keine Sekunde mit überflüssigen Fragen und ging sofort ans Werk.
Kaum eine andere Frau hätte es wohl vermocht, ein Bordell binnen zehn Minuten in ein züchtiges Mädchenpensionat zu verwandeln.
Nach genau zehn Minuten (Rybnikow stand hinterm Vorhang und schaute hinaus) bezahlte Glikerija den Kutscher und stieg entschlossen aus.
Ein solider Portier öffnete ihr die Tür, verbeugte sich und führte sie durch den Flur in die Richtung, aus der Klavierspiel drang.
Die luxuriöse Einrichtung des Pensionats überraschte Glikerija angenehm. Ein wenig seltsam fand sie, daß aus den Wänden stellenweise Nägel ragten – als hätten dort vor kurzem noch Bilder gehangen. Vermutlich zum Staubwischen abgenommen, dachte sie zerstreut, aufgeregt wegen des bevorstehenden wichtigen Gesprächs.
Im gemütlichen Salon spielten zwei hübsche junge Mädchen in Gymnasiastinnenuniform eifrig vierhändig den »Flohwalzer«.
Sie erhoben sich, knicksten linkisch und sagten im Chor: »Bonjour, Madame«.
Glikerija lächelte zärtlich ob ihrer Befangenheit. Sie war selbst einmal ein so scheues junges Ding gewesen, in der künstlichen Welt des Smolny-Instituts: halbkindliche Träume, heimliche Flaubert-Lektüre, Jungmädchengeständnisse im nächtlichen Schlafraum …
Neben dem Klavier stand Wassja – sein unschönes, aber liebes Gesicht wirkte verwirrt.
»Meine Tante erwartet Sie. Ich begleite Sie«, murmelte er und ließ Glikerija vorangehen.
Fira Rjabtschik (Rollenfach: »Gymnasiastin«) hielt Rybnikow am Rockzipfel fest und flüsterte: »Wassja, ist das deine Braut? Eine Dame mit Charakter. Keine Angst, es wird alles gutgehen. Wir haben die anderen in ihren Zimmern eingeschlossen.«
Gott sei Dank waren sie und Lionelka wegen der frühen Tageszeit noch nicht geschminkt.
Indessen kam Beatrice bereits durch die Tür, dem Gast entgegen – majestätisch wie die Kaiserinmutter Maria Fjodorowna.
»Gräfin Bovada«, stellte sie sich liebenswürdig lächelnd vor. »Wassjuscha hat mir schon so viel von Ihnen erzählt!«
»Gräfin?« stammelte Glikerija.
»Ja, mein seliger Gatte war ein spanischer Grande«, sagte Beatrice bescheiden. »Bitte, gehen wir in mein Kabinett.«
Bevor sie der Hausherrin folgten, flüsterte Glikerija Rybnikow zu: »Sie sind mit spanischen Grandes verwandt? Jeder andere hätte sich damit gebrüstet. Sie sind wirklich ein ungewöhnlicher Mann.«
Im Kabinett entspannte sich Rybnikow ein wenig. Die Gräfin war ganz souverän und gab die Initiative nicht aus der Hand.
Eifrig befürwortete sie die Idee einer Flucht ins Ausland. Sie wollte ihrem Neffen todsichere Papiere besorgen. Dann nahm das Gespräch der beiden Damen eine geographische Richtung: Wohin sollte der abgöttisch geliebte »Wassjuscha« evakuiert werden? Bei dieser Gelegenheit stellte sich heraus, daß die Witwe des spanischen Grande fast die ganze Welt bereist hatte. Besonders wohlwollend äußerte sie sich über Port Said und San Francisco.
Rybnikow beteiligte sich nicht an der Debatte, er knackte nur nervös mit den Fingern.
Egal, sagte er sich. Morgen ist der Fünfundzwanzigste, und dann ist alles vorbei.
Vierte Silbe,
in welcher Fandorin
Angst bekommt
Düstere Wut – so ließe sich Fandorins Stimmung am besten beschreiben. Er hatte in seinem langen Leben nicht nur Siege errungen, sondern auch Niederlagen hinnehmen müssen, aber noch nie, so schien ihm, war er sich so dumm vorgekommen. So mußte sich ein Walfänger fühlen, dessen Harpune, statt in den Leib eines Pottwals zu dringen, nur einen Schwarm kleiner Fische aufschreckt.
Aber wie hätte er daran zweifeln sollen, daß der dreimal verfluchte Schwarzhaarige der japanische Saboteur war? Schuld war einzig
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