Diamantene Kutsche
der jedoch vor dem weißen Deckaufbau so gut zu sehen war, daß Fandorin ihm ins Bein schießen konnte. Jedenfalls schrie der Getroffene – er lebte also.
Die Patronen, die Fandorin von Kroschkin bekommen hatte, waren alle. Er nahm den Revolver des Toten, doch auch dessen Trommel enthielt nur noch drei Kugeln. Und bis vier Uhr blieben noch ganze achtzehn Minuten.
»Schneller, Genossen!« rief die Stimme von eben. »Ihnen gehen die Patronen aus. Die Leinen kappen!«
Der Bug des Lastkahns glitt vom Kai; der Laufsteg fiel knarrend ins Wasser.
»Vorwärts, auf den Schlepper! Alle zusammen, Genossen!«
Da war nichts mehr zu machen.
Als ein ganzer Haufen Männer gleichzeitig zum Bug rannte, schoß Fandorin nicht einmal mehr – wozu?
Der Schlepper stieß eine Funkenfontäne aus dem Schornstein und setzte die Räder in Bewegung. Rasselnd spannten sich die Trossen.
Um drei Uhr sechsundvierzig legten sie ab, registrierte Fandorin.
Sie hatten sie einundzwanzig Minuten aufhalten können. Um den Preis von zwei Menschenleben.
Fandorin begleitete den Kahn am Ufer entlang.
Anfangs konnte er mühelos mitlaufen, dann mußte er rennen – der Schlepper gewann allmählich an Fahrt.
Als Fandorin die Eisenbahnbrücke passierte, vernahm er oben auf dem Damm das Dröhnen stählerner Räder. Aus der Dunkelheit kam eine große, vollbesetzte Draisine angerast.
»Hierher! Hierher!« Fandorin winkte und schoß in die Luft.
Gendarmen kamen die Böschung heruntergerannt.
»Wer ist der Dienstälteste?«
»Oberleutnant Brjanzew!«
»Da sind sie.« Fandorin zeigte auf den sich entfernenden Lastkahn. »Die Hälfte der Männer über die Brücke ans andere Ufer! Wir nehmen sie von beiden Seiten. Wenn wir sie eingeholt haben – Feuer auf das Steuerhaus des Schleppers. Bis sie sich ergeben. Marsch!«
Die seltsame Verfolgungsjagd dauerte nicht lange.
Vom Schlepper wurde immer weniger zurückgeschossen. Die Genossen riskierten es kaum noch, hinter der eisernen Bordwand aufzutauchen. Die Fensterscheiben im Steuerhaus waren von Kugeln zersplittert, der Steuermann lenkte das Schiff blind. Eine halbe Werst nach der Brücke fuhr der Schlepper auf eine Sandbank und saß fest. Der Lastkahn drehte sich langsam zur Seite.
»Feuer einstellen«, befahl Fandorin. »Sagen Sie ihnen, sie sollen sich ergeben.«
»Die Waffen nieder, ihr Trottel!« rief der Oberleutnant vom Ufer. »Was bleibt euch übrig? Ergebt euch!«
Den Sozialrevolutionären blieb tatsächlich keine Wahl. Über dem Wasser waberte durchsichtiger Morgennebel, das Dunkel wich zusehends, und beide Flußufer waren von Gendarmen abgeriegelt, so daß sie nicht einmal einzeln davonschwimmen konnten.
Vor dem Steuerhaus versammelten sich die Männer, die noch unversehrt waren – offenbar, um sich zu beraten.
Dann richtete sich ein Mann zu voller Größe auf.
Das war er!
Der Akrobat alias Stabskapitän Rybnikow – trotz der Entfernung war ein Irrtum ausgeschlossen.
Die Männer auf dem Schlepper begannen disharmonisch zu singen, während der japanische Spion losrannte und auf den Lastkahn sprang.
»Was macht er da? Was sollen wir tun?« fragte der Oberleutnant nervös.
»Wir trotzen dem Feind, der Waräger bleibt stolz, wir wollen nicht Schonung noch Gnade!« klang es vom Schlepper herüber.
»Schießen Sie, schießen Sie!« rief Fandorin, als in der Hand des Akrobaten etwas aufflammte, das aussah wie eine Wunderkerze. »Das ist eine Dynamitkapsel!«
Aber es war schon zu spät. Die Kapsel flog in den Laderaum des Lastkahns, der falsche Stabskapitän riß den Rettungsring von Bord und sprang in den Fluß.
Im nächsten Moment bäumte sich der Kahn auf, durch mehrere gewaltige Explosionen auseinandergebrochen. Die vordere Hälfte begrub den Schlepper unter sich. Holz- und Metallsplitter flogen durch die Luft, brennender Treibstoff breitete sich auf der Wasseroberfläche aus.
»Hinlegen!« schrie der Oberleutnant panisch, aber die Gendarmen ließen sich auch ohne Kommando schon zu Boden fallen und hielten sich die Arme über den Kopf.
Dicht vor Fandorin bohrte sich ein verbogener Gewehrlauf in den Boden. Brjanzew starrte entsetzt auf eine neben ihm aufgeprallte fettglänzende Handgranate, die sich wie rasend drehte.
»Keine Angst, sie geht nicht hoch«, sagte Fandorin. »Sie ist ohne Zünder.«
Der Offizier erhob sich verwirrt.
»Alle heil?« röhrte er schneidig. »Antreten und abzählen. He, Feldwebel!« rief er, die Hände vorm Mund zu einem Trichter geformt. »Wie sieht’s
Weitere Kostenlose Bücher