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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Ehrenwort!«
    Rybnikow knurrte: »Fünfhundert Rubel sind sehr viel Geld. Ich verdiene kein Drittel davon, nicht einmal mit Spesen und Kostgeld. Aber der Dienst … Die Obrigkeit duldet keine Verspätungen …«
    »Fünfhundert Rubel wollte er zahlen, der Gaukler!« Die Dame hörte ihm gar nicht zu. »Sich vor Publikum großtun! Aber im Alltagist er kleinlich, ein Ökonom« – dieses Wort sprach sie mit grenzenloser Verachtung aus, sie hörte sogar auf zu schluchzen. »Er lebt keineswegs seinen Mitteln entsprechend!«
    Erstaunt über den logischen Widerspruch in dieser Aussage, fragte Rybnikow: »Verzeihung, das verstehe ich nicht. Ist er nun sparsam oder lebt er über seine Mittel?«
    »Seine Mittel sind enorm, aber er lebt nicht danach!« erklärte die Reisegefährtin, die nun nicht mehr weinte, sondern in einem kleinen Spiegel besorgt ihre leicht gerötete Nase betrachtete. Sie fuhr mit der Puderquaste darüber und schob sich eine goldene Haarsträhne aus der Stirn. »Letztes Jahr hat er hunderttausend bekommen, aber wir haben kaum die Hälfte davon verbraucht. Er legt alles zurück, ›für schlechte Zeiten‹!«
    Nun hatte sie sich endgültig beruhigt, blickte ihren Reisegefährten an und stellte sich förmlich vor: Glikerija Romanowna Lidina.«
    Auch der Stabskapitän nannte seinen Namen.
    »Sehr angenehm.« Die Dame lächelte. »Ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig, da Sie nun einmal Zeuge dieser abscheulichen Szene geworden sind. George liebt solche Spektakel, besonders vor Publikum!«
    »Ist er wirklich Künstler?«
    Glikerija klapperte erstaunt mit den beinahe einen Zoll langen Wimpern.
    »Wie? Sie kennen Astralow nicht? Den Tenor Astralow-Lidin? Sein Name steht an allen Anschlagsäulen!«
    »Ich gehe nicht ins Theater.« Rybnikow zuckte gleichgültig die Achseln. »Keine Zeit für die Oper, wissen Sie. Auch gestatten meine Mittel das nicht. Mein Gehalt ist miserabel, die Verwundetenzulage wird verzögert, und das Leben in Petersburg ist teuer. Die Droschkenkutscher verlangen für jede noch so lächerliche Fahrt siebzig Kopeken …«
    Die Lidina hörte ihm nicht zu, sah ihn nicht einmal mehr an.
    »Wir sind seit zwei Jahren verheiratet!« sagte sie, als wende sie sich nicht an ihren prosaischen Reisegefährten, sondern an würdigere, mitfühlend lauschende Zuhörer. »Ach, wie war ich in ihn verliebt! Jetzt weiß ich, nicht er hat mich betört, sondern seine Stimme. Was für eine Stimme! Sobald er singt, schmelze ich dahin, und er kann mich um den Finger wickeln. Und das weiß er, der Schuft! Sie haben ja erlebt, wie er eben gesungen hat, der gemeine Manipulator! Gut, daß das Abfahrtssignal dazwischenkam, mir wurde schon ganz schwindlig!«
    »Ein gutaussehender Herr«, sagte der Stabskapitän gähnend. »Bestimmt kein Kostverächter. Deshalb auch das Drama, oder?«
    »Man hat mir schon früher davon berichtet!« Glikerija funkelte mit den Augen. »In der Theaterwelt gibt es genug wohlmeinende Menschen. Aber ich habe es nicht geglaubt. Doch nun habe ich es mit eigenen Augen gesehen! Und wo? In meinem eigenen Salon! Und mit wem? Mit der alten Kokotte Koturnowa! Ich setze keinen Fuß mehr in diese besudelte Wohnung! Und auch nicht nach Petersburg!«
    »Sie ziehen also nach Moskau«, resümierte der Stabskapitän. Sein Ton verriet, daß er es kaum erwarten konnte, dieses sinnlose Gespräch zu beenden und sich in seine Zeitung zu vertiefen.
    »Ja, wir haben auch eine Wohnung in Moskau, in der Ostoshenka. George geht manchmal für den Winter ein Engagement am Bolschoi-Theater ein.«
    An dieser Stelle verkroch sich Rybnikow doch hinter seine »Wetschernaja Rossija«, und die Dame verstummte notgedrungen. Sie schlug nervös die »Russkoje Wetsche« auf, überflog einen Artikel auf der ersten Seite, schleuderte die Zeitung beiseite und murmelte: »Mein Gott, wie geschmacklos! Ohne Kleider auf die Straße – entsetzlich! Wirklich ganz und gar ohne Kleider? Wer mag das sein, ›Gräfin N.‹? Vika Olsufjewa? Nelli Woronzowa? Ach, unwichtig!«
    Draußen zogen Sommerhäuser vorbei, kleine Wälder und öde Gemüsegärten. Der Stabskapitän raschelte eifrig mit der Zeitung.
    Die Lidina seufzte einmal und noch einmal. Das Schweigen fiel ihr schwer.
    »Was lesen Sie denn da so interessiert?« fragte sie schließlich.
    »Hier, die Liste der Offiziere, die für Zar und Vaterland in der Seeschlacht vor der Insel Tsushima gefallen sind. Gemeldet von den europäischen Nachrichtenagenturen, aus japanischen Quellen. Sozusagen

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