Diamantene Kutsche
verliert er vor seinen Leuten das Gesicht. Und zwingen können wir ihn nicht. Das ist eine innerjapanische Angelegenheit, die liegt außerhalb der Jurisdiktion des Konsulats.«
Der Wirt setzte sich auf die Brust des Gefangenen. Er legte dessen Kopf in eine hölzerne Schraubzwinge und tauchte das Eisending in das Tintenfaß. Die Schmalseite des seltsamen Gegenstands war voller kleiner Nadeln.
»Niedertracht fällt immer in den Bereich der Jurisdiktion«, entgegnete Fandorin achselzuckend, trat einen Schritt vor und packte den Wirt an der Schulter.
Er nickte zu dem Haufen Silbermünzen hinüber und sagte auf Englisch: »All this against him. Stake?«
Der Bucklige schwankte offenkundig. Auch Shirota trat einen Schritt vor, stellte sich neben Fandorin und hob die russische Flagge, um zu demonstrieren, daß die ganze Großmacht hinter dem Vorschlag des Vizekonsuls stand.
»Okay. Stake«, wiederholte der Wirt heiser und stand auf.
Er schnalzte mit den Fingern, und jemand reichte ihm mit einer Verbeugung den Bambusbecher und die Würfel.
Ach, wenn du doch stets
Solchen Respekt einflößtest,
Fahne des Vaterlands!
Eine abschüssige Kopfsteinpflasterstraße
Sie hielten sich nicht lange vor dem »Rakuen« auf – ohne sich abgesprochen zu haben, bogen sie gleich um die Ecke und entfernten sich raschen Schrittes. Shirota versicherte zwar, der Bucklige würde es nicht wagen, sie zu verfolgen, denn jemandem einen Gewinn wieder abzunehmen wäre nicht die Gepflogenheit eines Bakuto, aber er schien selbst nicht recht an die Unerschütterlichkeit der Banditentradition zu glauben – jedenfalls schaute er sich immer wieder um. Er schleppte den Sack mit den Silbermünzen, Fandorin führte Mademoiselle Blagolepowa am Arm, und hinter ihnen her trottete der beim Würfelspiel gewonnene Yakuza, der nach all den Schicksalsschlägen und überraschenden Wendungen offenbar noch nicht recht zu sich gekommen war.
Erst als sie das Sündenviertel verlassen hatten, blieben sie stehen, um zu verschnaufen. Rikschakulis liefen die Straße entlang, an den Ladenschaufenstern schlenderte ehrbares Publikum vorbei, und die zum Fluß hin abschüssige Kopfsteinpflasterstraße lag im hellen Licht der Gaslaternen – die Abenddämmerung hatte sich bereits über die Stadt gesenkt.
Da wurde Titularrat Fandorin drei Prüfungen ausgesetzt.
Mademoiselle Blagolepowa gab den Auftakt. Feurig umschlang sie Fandorins Hals (wobei sie ihm ihr erkämpftes Erbe schmerzhaft in die Seite stieß) und benetzte seine Wange mit Tränen der Dankbarkeit. Sie nannte den jungen Mann ihren Retter, einen Helden, einen Engel und sogar »mein Herz«.
Aber das war erst der Anfang.
Solange Fandorin, erschüttert von der Anrede »mein Herz«, die Mademoiselle zu beruhigen suchte, indem er vorsichtig ihre bebenden Schultern streichelte, wartete Shirota geduldig. Doch kaum hatte Fandorin sich aus der Umarmung des Mädchens befreit, verneigte sich der Schreiber fast bis zum Boden vor ihm und erstarrte in dieser Pose.
»Mein Gott, Shirota, was haben Sie denn?«
»Ich schäme mich dafür, daß es in Japan Menschen wie Semushi gibt«, sagte der mit dumpfer Stimme, ohne den Kopf zu heben. »Und so etwas gleich an Ihrem ersten Tag! Was müssen Sie von uns denken!«
Fandorin wollte dem Patrioten erklären, daß es auch in Rußland viele schlechte Menschen gab und daß man ein Volk nach seinen besten Vertretern beurteilen müsse, nicht nach den schlechtesten, als ihn die nächste Heimsuchung ereilte.
Der rundgesichtige Räuber hatte aufgehört, alle paar Sekunden nach der Brücke zurückzuschauen; keuchend warf er sich plötzlich Fandorin zu Füßen und schlug mit seiner kräftigen Stirn immer wieder auf das Straßenpflaster!
»Er dankt Ihnen für die Rettung seiner Ehre und seines Lebens«, übersetzte Shirota.
»Sagen Sie ihm bitte, der Dank ist angenommen, und er möge bitte rasch aufstehen«, sagte Fandorin nervös, mit einem Blick auf die Zuschauer.
Der Bandit stand auf und verneigte sich bis zum Gürtel.
»Er sagt, er ist ein Soldat der ehrenwerten Bande Chobei-gumi, die nun nicht mehr existiert.«
Die »ehrenwerte Bande« interessierte Fandorin, und er bat: »Er soll mehr von sich erzählen.«
»Hai, kashikomarimashita.« 1 Der »Soldat« verneigte sich erneut, legte die Hände an die Seiten und begann. Statt zu erzählen, erstattete er eine Art Rapport, ganz militärisch, die Augen starr auf die »Obrigkeit« gerichtet, für die er Fandorin nahm.
»Er stammt aus
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