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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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solcher Größe und Gestalt, daß man ihn in Moskau auf dem Jahrmarkt hätte zeigen können – Fandorin hatte nicht geahnt, daß in der miniaturhaften japanischen Nation derartige Exemplare anzutreffen waren. Der letzte war der Rundgesichtige von vorhin, so daß dessen eigenartiges Benehmen sich nun erklärte.
    Ein Bandenkonflikt, mutmaßte Fandorin. Haargenau wie bei uns. Nur daß unsere Banditen sich nicht die Schuhe ausziehen.
    Die Hereingestürmten hatten nämlich, bevor sie die Bastmatten betraten, ihre Holzpantinen abgeworfen. Und dann ging eine derartige Prügelei los, wie Fandorin sie noch nie gesehen hatte, obgleich der Vizekonsul trotz seines jugendlichen Alters schon so manches blutige Gefecht erlebt hatte.
    In dieser heiklen Situation handelte er vernünftig und kaltblütig: Er packte die vor Schreck ohnmächtige Mademoiselle Blagolepowa, trug sie in eine entlegene Ecke und stellte sich schützend vor sie. Im Nu war auch Shirota bei ihnen, der panisch immer wieder rief: »Yakuza! Yakuza!«
    »Was sagen Sie?« fragte Fandorin, während er den Verlauf der Schlacht verfolgte.
    »Banditen! Ich habe Sie gewarnt! Es wird eine Inzidenz geben! Ach, eine Inzidenz!«
    Damit hatte der Schreiber vollkommen recht – es sah in der Tat nach einer handfesten Inzidenz aus.
    Spieler und Gaffer rannten auseinander. Erst drückten sie sich an die Wände, dann nutzten sie den Umstand, daß die Tür unbewacht war, und suchten einer nach dem anderen das Weite.
    Ihrem vernünftigen Beispiel zu folgen war Fandorin unmöglich – er konnte die Mademoiselle schließlich nicht im Stich lassen. Und der disziplinierte Shirota wollte offenkundig bei seinem Chef bleiben. Er versuchte sogar, seinerseits dem Diplomaten Deckung zu geben, doch Fandorin schob ihn beiseite – er wollte etwas sehen.
    Rasch überwältigte ihn die Erregung, die jedes männliche Geschöpf beim Anblick einer Prügelei erfaßt, selbst wenn es nicht daran beteiligt und überhaupt ein friedlicher Mensch ist. Der Atem geht beschleunigt, das Blut scheint schneller zu pulsieren, die Fäuste ballen sich wie von selbst, und entgegen aller Vernunft, entgegen dem Selbsterhaltungstrieb möchte man sich ins Gewühl stürzen und nach links und rechts blinde, eifrige Hiebe austeilen.
    Blinde Hiebe gab es bei dieser Schlägerei allerdings nur wenige. Eigentlich überhaupt nicht. Die Prügelnden riefen keine Schimpfworte, sie ächzten nur und stießen gellende Schreie aus.
    Der Anführer der Angreifer schien der Schnauzbart mit dem Knüppel zu sein. Er hatte sich als erster ins Gefecht gestürzt und dem übriggebliebenen Türhüter einen geschickten Hieb aufs Ohr versetzt – nicht sehr heftig, doch der Getroffene fiel auf den Rücken und blieb liegen. Die beiden, die nach dem Schnauzbart hereingekommen waren, schwangen ihre Kette beziehungsweise die Holzstöcke am Strick und mähten drei Aufpasser mit weißen Stirnbändern nieder.
    Doch damit war die Schlacht noch längst nicht vorbei.
    Im Gegensatz zu dem rasenden Schnauzbart hielt sich der Bucklige zurück. Er verschanzte sich hinter seinen Männern und rief Befehle. Aus den hinteren Räumen kamen neue Kämpfer herbei, und nun hatten auch die Angreifer nichts mehr zu lachen.
    Die Truppe des Buckligen war mit langen Dolchen bewaffnet (oder mit kurzen Schwertern – Fandorin hätte diese fünfzehn, zwanzig Zoll langen Klingen nicht genau benennen können), die sie sehr geschickt handhabte. Man hätte denken können: Was vermochten Bambus oder Holzstöcke schon gegen Stahl, ganz zu schweigen von bloßen Händen, mit denen der Riese und der Kurzbeinige kämpften – dennoch neigte sich die Waagschale nicht zugunsten des »Rakuen«.
    Der Rundgesichtige schwang nicht nur die Arme, sondern auch die Beine, und traf mit der Ferse mal eine Stirn, mal ein Kinn. Sein elefantenartiger Kamerad agierte majestätischer und simpler: Mit einer für seine Gestalt verblüffenden Gewandheit packte er den Gegner an der Hand, die den Dolch hielt, und schleuderte ihn mit einem Ruck zu Boden oder gegen eine Wand. Seine keulenartigen Arme, die über und über tätowiert waren, verfügten über wahrhaft übermenschliche Kraft.
    Bar jeder Anteilnahme an der Schlacht blieben nur die bewußtlose Mademoiselle Blagolepowa und die seligen Opiumraucher, obwohl hin und wieder Blut aus einer aufgeschlitzten Arterie bis zu ihren Matten spritzte. Einmal fiel ein Opfer des riesigen Menschenwerfers auf den dösenden Chinesen, doch der zeitweilige Gast in den

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