Diamantene Kutsche
Schleif-papier«, wiederholte Shirota langsam, um sich das Wort einzuprägen.
»Ein Schwertgriff mit Schleifpapier? Da reißt man sich doch die Hand auf.«
»Natürlich, das ist unmöglich«, stimmte der Japaner ihm zu. »Aber ich übersetze ja nur.«
Er bat den Yakuza fortzufahren.
»Diese Leute sprachen sehr schlecht über Minister Okubo, sie nannten ihn Inu-Okubo, also ›der Hund Okubo‹. Einer, ein Mann mit einem verkrüppelten Arm, ihr Anführer, sagte: ›Na, morgen schnappen wir ihn uns.‹ Als der Kapitän sie nach Yokohama zurückgebracht hatte, befahlen sie ihm, am nächsten Tag eine Stunde vor Sonnenaufgang zur selben Stelle zu kommen, und zahlten ihm einen reichlichen Vorschuß. Das erzählte der Kapitän allen, die bei ihm saßen. Er sagte, er wolle noch eine Weile bleiben und dann zur Polizei gehen, er würde bestimmt eine große Belohnung bekommen, weil er den Minister vor den Verschwörern rettet.«
Während Shirota den Bericht des Banditen übersetzte, runzelte er immer heftiger die Stirn.
»Das klingt sehr beunruhigend«, erklärte er. »Die ehemaligen Samurai aus der Provinz Satsuma hassen ihren Landsmann Okubo. Sie betrachten ihn als Verräter.«
Er befragte den Kurzbeinigen weiter, doch der lachte nur und winkte verächtlich ab.
»Er sagt, das ist alles Unsinn. Der Kapitän war berauscht vom Opium, seine Zunge verhedderte sich. Wahrscheinlich hat er sich das alles eingebildet. Woher sollten Samurai aus Satsuma das Geld für einen Dampfkutter haben? Sie sind alle Hungerleider. Wenn sie dem Minister den Kopf abschlagen wollten, würden sie zu Fuß nach Tokio gehen. Und dann – wo hat man so was schon gehört – den Griff eines Schwerts mit Schleifpapier zu umwickeln? Der alte Gaijin wollte einfach, daß alle ihm zuhören, deshalb hat er solche Geschichten erzählt.«
Fandorin und Shirota sahen sich an.
»Er soll alles mal g-ganz genau erzählen. Was hat der K-kapitän noch gesagt? Ist vielleicht irgend etwas mit ihm p-passiert?«
Der Yakuza wunderte sich, daß seine Geschichte auf solches Interesse stieß, antwortete aber eifrig.
»Mehr hat er nicht gesagt. Nur das mit der Belohnung. Er schliefimmer wieder ein, wachte wieder auf und erzählte dasselbe noch einmal. Wahrscheinlich hat er wirklich Passagiere gefahren, aber das mit den Schwertern, das hat er wohl im Opiumrausch geträumt, das sagten alle. Und passiert ist ihm nichts. Er saß bis zum Morgengrauen da, dann stand er plötzlich auf und ging.«
»Plötzlich? Wie war das g-genau?« bohrte Fandorin weiter, dem die Geschichte mit den geheimnisvollen Männern aus Satsuma sehr mißfiel – besonders im Zusammenhang mit Blagolepows plötzlichem Tod.
»Er stand einfach auf und ging.«
»Einfach so?« Der Yakuza überlegte, versuchte sich zu erinnern.
»Der Kapitän saß da und döste. Mit dem Rücken zum Saal. Ich glaube, jemand trat zu ihm und weckte ihn. Ja, ja! Ein alter Mann, total berauscht. Er schwankte, ruderte mit dem Arm und traf den Kapitän am Hals. Der Kapitän wachte auf und beschimpfte den Alten. Dann sagte er: ›Wirt, mir ist irgendwie nicht gut, ich gehe.‹ Und ging.«
Als Shirota alles übersetzt hatte, fügte er hinzu: »Nein, Herr Vizekonsul, daran ist nichts Verdächtiges. Wahrscheinlich hat der Kapitän Herzschmerzen bekommen. Er schaffte es noch bis nach Hause und starb dort.«
Zu dieser Schlußfolgerung schwieg Fandorin, doch seine zusammengekniffenen Augen verrieten, daß er damit nicht recht zufrieden war.
»Mit der Hand gegen den Hals?« murmelte er nachdenklich.
»Was?« fragte Shirota, der die Worte nicht gehört hatte.
»Was wird dieser Räuber jetzt tun? Seine Bande ist doch zerschlagen«, erkundigte sich Fandorin, allerdings ohne großes Interesse – er wollte nur den Schreiber nicht vor der Zeit in seine Gedanken einweihen.
Der Räuber antwortete kurz und energisch.
»Er sagt: ›Ich werde Ihnen danken.‹«
Die Entschiedenheit seines Tones ließ den Vizekonsul aufhorchen.
»Was will er damit sagen?«
Shirota erklärte es mit sichtlicher Billigung: »Sie sind jetzt fürs ganze Leben sein Onjin. Ein solches Wort gibt es im Russischen leider nicht.« Er überlegte kurz. »Wohltäter bis ans Grab. Kann man so sagen?«
»Bis ans G-grab?« Fandorin zuckte zusammen.
»Ja, bis ans Grab. Und er ist Ihr Schuldner bis ans Grab. Sie haben ihn schließlich nicht nur vor dem Tod gerettet, sondern ihn auch vor einer untilgbaren Schande bewahrt. Dafür zahlt man bei uns mit höchster Dankbarkeit,
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