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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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sogar mit dem eigenen Leben.«
    »Was soll ich mit seinem Leben? Sagen Sie ihm, ›gern geschehn‹ oder was man bei Ihnen so sagt, und daß er seiner Wege gehen soll.«
    »Wenn man solche Worte sagt und mit solcher Aufrichtigkeit, dann geht man danach nicht einfach seiner Wege«, sagte Shirota tadelnd. »Er sagt, von heute an sind Sie sein Herr. Wo Sie hingehen, da will auch er hingehen.«
    Der Kurzbeinige verbeugte sich tief und hielt seinen kleinen Finger hoch, was Fandorin nicht sehr höflich erschien.
    »Nun, was will er noch?« fragte der Vizekonsul, immer nervöser. »Warum geht er nicht?«
    »Er wird nicht weggehen. Sein Oyabun ist tot, darum hat er beschlossen, sein Leben in Ihren Dienst zu stellen. Zum Beweis seiner Aufrichtigkeit bietet er Ihnen an, sich den kleinen Finger abzuschneiden.«
    »Er soll sich zum T-teufel scheren!« rief Fandorin empört. »Er soll sich trollen! Genau! Sagen Sie ihm das!«
    Der Schreiber wagte nicht, mit dem gereizten Vizekonsul zu streiten und begann zu übersetzen, stockte jedoch.
    »Auf Japanisch kann man nicht einfach sagen ›troll dich‹, man muß dazu sagen, wohin.«
    Wäre nicht eine Dame zugegen gewesen, hätte Fandorin ihm Bescheid gesagt, denn seine Geduld ging zu Ende – der erste Tag seines Aufenthalts in Japan gestaltete sich allzu anstrengend.
    »Über alle Berge, immer der Nase nach!« Fandorin winkte zum Ufer hin.
    Das Gesicht des Kurzbeinigen spiegelte Verständnislosigkeit, aber nur einen Augenblick, dann nickte er. »Kashikomarimashita.«
    Er legte sich auf den Boden, stieß sich mit der Hand ab und rollte den Abhang hinunter.
    Fandorin verzog das Gesicht – er würde sich lauter blaue Flecke holen auf dem Pflaster, der Trottel. Aber zum Teufel mit dem Yakuza – er hatte an Wichtigeres zu denken.
    »Sagen Sie, Shirota, können Sie mir einen zuverlässigen Doktor empfehlen, der eine Obduktion durchführen kann?«
    »Zuverlässig? Ja, ich kenne einen sehr zuverlässigen Doktor. Mister Lancelot Twiggs. Ein aufrechter Mann.«
    Eine merkwürdige Empfehlung für einen Arzt, dachte Fandorin.
    Von unten drang ein gleichmäßiges, stetig schneller werdendes Rascheln herauf – Fandorins Schuldner bis zum Grab trollte sich, immer der Nase nach.
     
    Voll blauer Flecke
    vom harten Straßenpflaster.
    Vom Weg der Ehre.

Ein kerngesunder Toter
    »Das verstehe ich nicht«, verkündete Doktor Lancelot Twiggs, zog die glitschigen, blutbefleckten Handschuhe aus und deckte ein Laken über den aufgeschnittenen Körper. »Herz, Leber und Lunge sind völlig in Ordnung. Keinerlei Spuren einer Gehirnblutung – ichhabe den Schädel ganz umsonst aufgesägt. Gott schenke jedem Mann über fünfzig eine solche Gesundheit.«
    Fandorin schaute zur Tür, hinter der sich in Shirotas Obhut Mademoiselle Blagolepowa befand. Die Stimme des Doktors war laut, und die erörterten anatomischen Einzelheiten könnten bei ihr einen neuen hysterischen Weinkrampf auslösen. Obwohl – woher sollte dieses einfache Mädchen Englisch können?
    Die Obduktion fand im Schlafzimmer statt. Sie hatten einfach die dünne Matratze abgenommen, Ölpapier auf dem Bett ausgebreitet, und dann war der Arzt an sein trauriges Werk gegangen. Um den improvisierten Seziertisch herum brannten Kerzen; Fandorin, der den Assistenten spielte, hielt eine Lampe und drehte sie nach den Anweisungen des Operateurs mal hierhin, mal dorthin. Dabei bemühte er sich, möglichst nicht hinzuschauen, um von dem grausigen Anblick Gott behüte nicht in Ohnmacht zu fallen. Das heißt, wenn der Doktor sagte: »Sehen Sie nur, was für ein prächtiger Magen!« oder »Was für eine Blase! Wenn ich die hätte! Schauen sie nur!«, drehte Fandorin sich um, nickte sogar und knurrte zustimmend, kniff die Augen jedoch vorsichtshalber zusammen. Ihm genügte schon der Geruch. Diese Folter schien kein Ende zu nehmen.
    Der Doktor war nicht mehr jung und sehr bedächtig, dabei aber außerordentlich gesprächig. Seine ausgeblichenen blauen Augen strahlten Güte aus. Er erledigte seine Arbeit äußerst gewissenhaft, hin und wieder wischte er sich mit dem Ärmel über die Glatze, die ein rötlicher Haarkranz säumte. Als sich abzeichnete, daß die Ursache für den Tod des Kapitäns offenbar nicht zu klären war, geriet Twiggs in Fahrt, und der Schweiß rann ihm in Strömen.
    Nach einer Stunde, zwei Minuten und fünfundvierzig Sekunden (der gepeinigte Fandorin sah beständig auf die Uhr) kapitulierte er schließlich.
    »Ich konstatiere: ein kerngesunder

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