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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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einer Familie von Mati-jakko und ist sehr stolz darauf. (Das sind edle Yakuza, die die kleinen Leute vor der Willkür der Mächtigen beschützen. Und sie nebenbei natürlich ein wenig ausplündern)«, übersetzte und kommentierte Shirota. »Sein Vater hatte nur noch zwei Finger an der Hand. (Das ist so Brauch bei den Yakuza: Wenn ein Räuber sich etwas zuschulden kommen läßt und sich bei der Bande entschuldigen will, hackt er sich ein Stück vom Finger ab.) Er selbst erinnert sich allerdings nicht mehr an seinen Vater – das hat man ihm nur erzählt. Auch seine Mutter stammte aus einer angesehenen Familie, sie war am ganzen Körper tätowiert, bis zu den Knien. Als er drei Jahre alt war, floh sein Vater aus dem Gefängnis, versteckte sich auf einem Leuchtturm und schickte seiner Frau eine Nachricht – sie arbeitete in einem Teehaus. Die Mutter band sich das Kind auf den Rücken und eilte zu ihrem Mann auf den Felsen, doch sie wurde entdeckt und an die Gefängniswärter verraten. Sie umstellten den Leuchtturm. Der Vater wollte nicht ins Gefängnis zurück. Er stach mit dem Messer seine Frau ins Herzund sich in die Kehle. Er wollte auch den kleinen Sohn erstechen, brachte es aber nicht über sich und warf ihn einfach ins Meer. Doch das Karma ließ den kleinen Jungen nicht ertrinken – er wurde aus dem Wasser gefischt und ins Waisenhaus gebracht.«
    »Was für eine Bestie, dieser Vater!« rief Fandorin erschüttert. Shirota fragte erstaunt: »Wieso ist er eine Bestie?«
    »Aber er hat doch die eigene Frau erstochen und seinen kleinen Sohn den F-felsen hinuntergeworfen!«
    »Ich versichere Ihnen, er hätte seine Gattin niemals getötet, wenn sie ihn nicht selbst darum gebeten hätte. Sie wollten sich nicht trennen, ihre Liebe war stärker als der Tod. Das ist sehr schön.«
    »Aber der kleine Junge?«
    »Bei uns in Japan sieht man das anders, verzeihen Sie«, antwortete der Schreiber streng. »Die Japaner sind sehr verantwortungsbewußt. Die Eltern sind verantwortlich für ihr Kind, besonders, wenn es noch ganz klein ist. Die Welt ist so grausam! Kann man ein hilfloses Wesen etwa der Willkür des Schicksals überlassen? Das ist doch unmenschlich! Die Famile muß zusammenhalten, darf sich nicht trennen. Am anrührendsten an dieser Geschichte ist, daß der Vater seinen kleinen Sohn nicht erstechen konnte …«
    Während dieses Dialogs zwischen dem Vizekonsul und seinem Assistenten knüpfte der Kurzbeinige ein Gespräch mit Mademoiselle Blagolepowa an. Er verbeugte sich vor ihr und stellte ihr eine Frage, woraufhin das Mädchen aufschluchzte und in bitterliches Weinen ausbrach.
    »Was ist los?« fragte Fandorin und wandte sich von Shirota ab. »Hat dieser Bandit Sie beleidigt? Was hat er zu Ihnen gesagt?«
    »Nein, nein«, Mademoiselle Blagolepowa schniefte. »Er hat gefragt … Er hat gefragt, wie es meinem ehrenwerten Papa geht …«
    Wieder spritzten die Tränen – offenbar produzierten ihre Tränendrüsen sie in unbegrenzter Menge.
    »Kannte er denn Ihren Vater?« fragte Fandorin erstaunt.
    Mademoiselle Blagolepowa schneuzte sich in ihr nasses Taschentuch und konnte nicht antworten, darum richtete Shirota die Frage an den Yakuza.
    »Nein, er hatte nicht die Ehre, mit dem Vater der gelbhaarigen Dame bekannt zu sein, aber gestern nacht hat er gesehen, wie sie ins ›Rakuen‹ kam, um ihren Vater abzuholen. Er war ein sehr gesprächiger Mann. Manche schlafen vom Opium ein, andere dagegen werden fröhlich und gesprächig. Der alte Kapitän schwatzte ununterbrochen, er erzählte und erzählte.«
    »Was erzählte er denn?« fragte Fandorin zerstreut und holte seine Uhr hervor. Viertel vor acht. Wenn er mit dem Konsul zu diesem verdammten Junggesellenball fahren mußte, sollte er zuvor noch ein Bad nehmen und sich in Ordnung bringen.
    »Wie er drei Passagiere nach Tokio gefahren hat, nach Susaki. Wie er dort auf sie gewartet und sie dann zurückgebracht hat. Sie sprachen Satsuma-Dialekt. Sie dachten, der Gaijin versteht sie nicht, doch der Kapitän fährt schon lange auf den japanischen Meeren herum und versteht alle Dialekte. Die Männer aus Satsuma hatten längliche Pakete bei sich, darin waren Schwerter, er konnte einen Griff erkennen. Er war seltsam, in Kamiyasuri gehüllt.« Hier stockte Shirota, denn er wußte nicht, wie er das schwierige Wort übersetzen sollte. »Kamiyasuri, das ist so ein Papier mit Glassplittern darauf. Man benutzt es, um Holzflächen glatt zu machen …«
    »Schleifpapier?«
    »Ja, ja!

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