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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Toter. Ein wahrhaft reckenhafter Organismus, besonders, wenn man den langjährigen Genußder getrockneten Milch der Samenhülle des Papaver somniferum in Betracht zieht. Es gibt lediglich Spuren von Tabakteer in den Tracheen und einen kleinen dunklen Fleck in der Lunge, sehen Sie?« (Fandorin bejahte, ohne hinzuschauen: »Oh, yes.«) »Er hatte ein Herz wie ein Stier. Und auf einmal ist es einfach so stehengeblieben. So etwas habe ich noch nie gesehen. Wenn Sie das Herz meiner armen Jenny gesehen hätten!« Twiggs seufzte. »Die Muskeln waren wie ausgedörrte Lappen. Als ich ihren Brustkorb öffnete, weinte ich vor Mitleid. Die Ärmste hatte ein sehr schwaches Herz, und die zweite Geburt hat ihm den Rest gegeben.«
    Fandorin wußte bereits, daß Jenny die verstorbene Frau des Doktors war und daß dieser sie selbst obduziert hatte, weil er sehen wollte, welcher Art ihre Krankheit war, denn beide Töchter hatten das schwache Herz der Mutter geerbt. Er entdeckte einen mäßig ausgeprägten Herzklappenvorfall, und aufgrund dieser wichtigen Erkenntnis konnte er seine heißgeliebten kleinen Töchter richtig behandeln. Fandorin wußte nicht, ob er von dieser erstaunlichen Geschichte begeistert oder entsetzt sein sollte.
    »Haben Sie die Halswirbel genau untersucht?« fragte Fandorin zum wiederholten Mal. »Ich sagte doch, er hat möglicherweise einen Schlag gegen den Hals bekommen, von hinten.«
    »Keinerlei Verletzungen, nicht einmal ein Bluterguß. Lediglich ein kleiner roter Fleck unterhalb der Schädelbasis, wie von einer leichten Verbrennung. Aber eine derartige Lappalie kann auf keinen Fall irgendwelche ernsthaften Folgen gehabt haben. Vielleicht gab es gar keinen Schlag?«
    »Ich weiß nicht.« Fandorin seufzte und bedauerte bereits, daß er die Obduktion angezettelt hatte. Schließlich konnte alles mögliche das Herz eines eingefleischten Opiumrauchers zum Stillstand bringen.
    Über einem Stuhl hingen die Kleider des Toten. Nachdenklich betrachtete Fandorin den abgewetzten Rücken der Uniformjacke,das gestopfte Hemd mit dem angeknöpften Kragen – von der allerbilligsten Sorte, aus Zelluloid. Plötzlich beugte er sich hinunter.
    »Schlag oder nicht, eine Berührung hat jedenfalls stattgefunden!« rief er. »Sehen Sie hier, ein F-fingerabruck. Obwohl, vielleicht war das Blagolepow selbst«, sagte er sogleich resigniert. »Er hat sich den Kragen angeknöpft und dabei …«
    »Nun, das läßt sich leicht feststellen.« Der Doktor nahm eine Lupe aus der Tasche und hockte sich vor den Stuhl. »Aha. Ein rechter Daumen.«
    »Das sehen Sie auf den ersten Blick?« Fandorin war verblüfft.
    »Ja. Ich habe mich ein bißchen damit beschäftigt. Wissen Sie, mein Freund Doktor Folds, er arbeitet in einem Hospital in Tokio, hat eine interessante Entdeckung gemacht. Als er die Fingerabdrücke auf alter japanischer Keramik untersuchte, stellte er fest, daß das Muster der Fingerkuppen sich niemals wiederholt.« Twiggs ging zum Bett, griff nach der rechten Hand des Toten und betrachtete unter den Lupe den Daumen. »Nein, der hier sieht ganz anders aus. Kein Zweifel … Also, Mister Folds hat eine interessante Hypothese aufgestellt, der zufolge …«
    »Ich habe über Fingerabdrücke gelesen«, unterbrach Fandorin ihn ungeduldig, »aber die europäischen Autoritäten halten diese Idee für nicht praktikabel. Überprüfen Sie lieber, ob der Fingerabdruck sich an derselben Stelle befindet wie die Rötung, die Sie erwähnten.«
    Der Doktor hob den toten Kopf mit der abgesägten Schädelplatte ungeniert ein Stück an und beugte sich tief hinunter.
    »Sieht ganz so aus. Aber was heißt das schon? Es gab eine Berührung, aber keinen Schlag. Woher die Verbrennung stammt, ist unklar, aber ich versichere Ihnen, davon ist noch niemand gestorben.«
    »Na schön, nähen Sie ihn wieder zu.« Fandorin gab sich seufzend geschlagen. »Ich habe Sie umsonst bemüht.«
    Während der Doktor mit Nadel und Faden hantierte, ging derVizekonsul ins Nebenzimmer. Mademoiselle Blagolepowa empfing ihn mit einer Miene, als erwartete sie ein Wunder: Papa ist gar nicht tot, das hat der englische Doktor soeben wissenschaftlich festgestellt.
    Errötend sagte Fandorin: »Die T-todesursache mußte medizinisch abgeklärt werden. Das ist Vorschrift.«
    Die Mademoiselle nickte, die Hoffnung in ihrem Gesicht erlosch.
    »Und was war die Ursache?« erkundigte sich Shirota.
    Fandorin hüstelte verlegen und murmelte etwas in Fachchinesisch, das er sich gemerkt hatte:

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