Diamantenschmaus
Hermi Wechseldienst machen muss.« Palinski nickte nur, den Überblick über
die komplizierten Verhältnisse in Frau Wurminzers Familie hatte er längst
verloren. Nein, das stimmte so nicht. Um ehrlich zu sein, hatte er sich bisher
überhaupt noch nicht ausgekannt.
Er wusste bloß, dass die Irmi erst vier Jahre
zählte und Hermi ihre Mutter war. Bernie dagegen war bereits reife 32 und ein
hilfsbereiter junger Mann.
Dieses Wissen genügte Palinski vollkommen.
Er legte den Löffel neben den nunmehr leeren
Teller, schmatzte ein letztes Mal genussvoll vor sich hin und stand langsam
auf.
»Sie werden doch jetzt noch nicht gehen wolln«,
sofort begann Frau Wurminzer, um die Prolongation ihres heutigen Lebensglücks
zu kämpfen. »Ich hätt da noch ein Szegediner Krautfleisch, mit einem Tupfen
saurem Rahm drauf serviert.«
Doch Palinski konnte wirklich nicht mehr, und, um
ehrlich zu sein, er wollte auch nicht mehr länger fressen. Diese Frau hatte
durch ihre magische Fertigkeit, Nahrungsmittel, Gewürze und andere Zutaten
durch virtuos angewandte praktische Chemie zu einzigartigen
Geschmackserlebnissen zu veredeln, in einem Ausmaß Macht über ihn gewonnen, das
ihn erschreckte. Dieser Macht und dem schamlosen Versuch, sie zu missbrauchen,
musste er ein für alle Mal entschieden entgegentreten.
»Nein danke«, meinte er aus vorsorglichen Gründen bestimmt.
»Ich kann wirklich nicht mehr. Und übrigens, das grenzt fast an
Beamtenbestechung.« Er schüttelte gespielt missbilligend den Kopf.
»Sie sind gar kein Beamter«, gab die Wurminzer
fröhlich grinsend zurück und ermahnte ihn scherzhaft mit erhobenem Zeigefinger.
»Wissen Sie was, ich gebe Ihnen einfach zwei Portionen Krautfleisch mit und den
sauren Rahm extra. Das können Sie sich am Abend warm machen und mit Ihrer
lieben Frau gemeinsam genießen.« Sie wartete Palinskis entrüstete Ablehnung
erst gar nicht ab und enteilte in die Küche.
Der derart um seinen Auftritt Geprellte überlegte,
was nun wohl zu tun war, und entschied sich schließlich dafür, den
vorgeschlagenen Kompromiss für gut zu befinden. Man konnte ja die liebe alte
Dame mit ihrem Cateringwahn schlecht vor den Kopf stoßen. Ob Wilma ungarische
Spezialitäten zu schätzen wissen würde? Komisch, jetzt kannte er sie schon so
lange und die Antwort auf derart elementare Fragen hatte er noch immer nicht.
Palinski machte einige Schritte, um sich etwas
Bewegung zu verschaffen. Vor dem Behältnis im Wandregal, das er für die Urne
mit Pippis Asche hielt, blieb er stehen und musterte wie bereits gestern das
darunterliegende dicke Kuvert.
›Diamonds are Memory Inc., Rotterdam, NL‹, das war ein
Absender, der durchaus einige Fragen aufwarf. Verstohlen griff er nach dem
Umschlag im DIN-C4-Format, zog den aus mehreren Seiten bestehenden Inhalt
heraus und warf einen verschämten Blick auf …
»Gut, dass Sie sich das ansehen«, tönte Frau Wurminzer, die
gerade wieder den Raum betreten hatte, »dazu wollte ich Sie ohnehin um Ihre
Meinung bitten.«
Hastig schob Palinski, der nur einen vagen Eindruck der
Betreff-Zeile des Schreibens hatte gewinnen können, den Inhalt wieder in das
schützende Kuvert zurück.
Gott, war das eine peinliche Situation. So eine nette alte
Frau, und er suchte in ihren Sachen herum, sobald sie das Zimmer nur für eine
Minute verließ. Palinski, Palinski, was bist du nur für ein verdammter …
Während er noch nach einem einigermaßen zutreffenden Begriff
für seine ethisch-moralischen Defekte suchte, hatte die Wurminzer längst zu
erzählen begonnen.
»… die Pippi tot war, hab ich mich gefragt: Und das war jetzt
alles? Dann haben mir Bekannte von dieser Firma in Holland erzählt, die aus der
Asche …«, unverdrossen plapperte die alte Dame weiter, obwohl Palinski
erkennbar nichts unversucht ließ, um sich diesen Schmarrn nicht länger anhören
zu müssen. Das war halt die Rechnung, die er für Speis und Trank zu blechen
hatte.
Er kam sich langsam vor wie Hänsel und Gretel, ja richtig,
gleichwie beide zusammen, nachdem sie der bösen Hexe in die Falle gegangen
waren. Den Verlockungen des Lebkuchens erlegen, der in seinem Falle aus
köstlichen Mehlspeisen und Rindsuppen bestanden hatte. Und im Moment sollte er
sich um die Beerdigung eines Hundes kümmern? Was heißt, eines Hundes, nein,
seiner Asche.
Was war da auf dem einen Blatt gestanden? Irgendetwas wie
›Ihr teurer Verstorbener als ein Halb- oder Ganzkaräter‹? Diese Holländer
hatten wirklich ein uriges
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