Diamantenschmaus
überwältigenden Vorstellung, quasi blind und im Bikini an einem
Strandabschnitt der italienischen Adria angekettet zu sein. Möglicherweise
sogar in Cesenatico, wo sie als kleines Kind sehr schöne Ferien verbracht
hatte.
»Hilfe, Hilfeee«, begann Hildi hysterisch zu
brüllen, und, nachdem sie sich ihrer rudimentären Kenntnisse der Landessprache
wieder bewusst geworden war, auch noch »Aiuto, aiuto.«
»Hoit’s Mäu«, meldete sich fast unmittelbar eine
unfreundliche Männerstimme, daraufhin verspürte die junge Frau einen Stich im
Arm. Während Hildi Forderberg noch in einiger Entfernung den Allzeit-Evergreen
›Volare‹ zu hören glaubte, verlor sie wieder einmal das Bewusstsein. Oder
zumindest das, was sie gerade dafür gehalten hatte.
*
Den
Suchwörtern Urnenraub und Aschendiebstahl hatte Florian zwei unerwartete Aha-Erlebnisse
zu verdanken. Erstens, dass nach wie vor hauptsächlich Wahlurnen Gegenstand
gesetzesbrecherischer Interventionen waren. Und zweitens, dass einem einzelnen
Buchstaben, im konkreten Fall dem T, eine enorme Bedeutung zukam. Vor allem,
falls er wie im gegenständlichen Fall unterdrückt wurde.
Wie die rund 2,3 Millionen Seiten bewiesen hatten,
auf denen das Wort ›T-Aschendiebstahl‹ vorkam und die Google innerhalb von nur
0,3 Sekunden ausgeforscht hatte.
Das war wirklich beeindruckend gewesen, jedoch keineswegs
zielführend für den vorliegenden Fall.
Irgendwie musste sich die Suche nach dem, was von den
Menschen nach ihrem Tod geblieben war, unbewusst auf Florians Gemüt geschlagen
haben, und das heftig, denn anders konnte er sich nicht erklären, warum er, wie
ihm eben bewusst geworden war, die Melodie von Pete Seegers melancholischem
Welterfolg ›Where have all the flowers gone‹ vor sich hin trällerte. Allerdings
mit der eher morbiden Textvariante ›Sag mir, wo die Leichen sind, wo sind sie
geblieben, sag mir, wo die Urnen sind, was ist geschehn, wer wird das je
verstehn?‹ Und das offenbar schon eine ganze Weile.
Höchste Zeit demnach, sich wieder etwas
lebensbejahendere, diesseitigere Anregungen zu holen, ehe ihn noch eine latente
Schwermut einholte, dachte Florian und gab als neue Suchwort-Kombination
›Prominente+Souvenirs‹ ein.
Und siehe da, auch zu diesem Thema fanden sich
innerhalb weniger Sekunden fast 58.000 Seiten. Dabei waren das nur jene in
deutscher Sprache. Aber die hatten es in sich und vermittelten ein
erschreckendes, breit gefächertes Bild darüber, was alles zu sammeln die
angebliche Krone der Schöpfung imstande war. Zumindest falls das begehrte
Objekt sich irgendwann tatsächlich oder nur angeblich im Besitz oder wenigstens
in der Nähe eines oder einer für prominent gehaltenen Zeitgenossen befunden
hatte.
Die Skurrilitäten begannen mit Analabdrücken, und
das war kein Witz; worum es sich dabei allerdings genau handelte, war in der
Kürze der Zeit für Florian nicht zu ermitteln gewesen. Weiter ging es über
verschiedene Kleidungsstücke bis hin zu Schuhsohlen und sogar Zahnspangen, von
denen er nie gedacht hätte, dass sie hoch im Kurs standen. So wurde z. B.
gerade die Zahnklammer eines alternden Popsängers zum Höchstgebot von immerhin
149 Dollar im Internet versteigert.
Dominiert wurden die Angebote und Nachfragen
allerdings nicht von Kuriositäten, sondern von traditionellen Rennern wie
Briefmarken, Bierdeckel, Erstausgaben wovon auch immer und vor allem von
Bildern und Fotos.
Von Landschaften, Nackten und Angezogenen, Tieren, Blumen,
Sonnenauf- und Sonnenuntergängen und was sonst der Menschheit abzubilden wert
schien.
Das permanente Sichten langatmiger Nichtigkeiten im Internet
machte mit der Zeit auch einem so präzisen Rechercheur wie Florian Nowotny zu
schaffen. Diese Berge an Geringfügigkeiten, Binsenweisheiten und geistigem Müll
mussten sich zwangsläufig auf die Konzentration von Palinskis Assistenten
auswirken und seine Wahrnehmung beeinträchtigen. Oder war es das
Urteilsvermögen? Wahrscheinlich wurde beides in Mitleidenschaft gezogen.
Auf jeden Fall hatte er die vermutlich einzige Perle in dem
Haufen bereits gesichteten elektronischen Schrotts beinahe übersehen. Da es
sich dabei in der Tat um keine Perle, sondern um einen Edelstein handelte, der sich
beim flüchtigen Augenkontakt in Florians Unterbewusstsein eingeschlichen hatte,
war der karenzierte Polizist von sich aus noch einmal zu dieser Seite
zurückgekehrt.
Und bingo, das war ein guter Zug von dem jungen Mann gewesen.
Denn bei genauerer
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