Diamantenschmaus
diskutiert wurde, im Kreis von Menschen, die
genau wie sie nicht mehr als eine gute Inhaltsangabe studiert hatten.
Jetzt saß die streitbare Dame seit mehr als einer Stunde
Inspektor Heidenreich gegenüber, der sich heute, ganz gegen ihren ersten
Eindruck von gestern Abend, als ausgesprochen netter Mensch erwiesen und sie
mit einem guten Kaffee begrüßt hatte. Wohl, um sein schlechtes Gewissen wegen
seiner etwas burschikosen Art bei der Festnahme gestern Abend zu besänftigen.
So erfreulich die äußeren Umstände der Einvernahme
sein mochten, in der Sache selbst war der Stellvertreter Franka Wallners ein
hartnäckiger, ja unerbittlicher Fragesteller, der nur schwer zufriedengestellt
und erst recht nicht mit auf Halbwahrheiten basierenden Wischiwaschi-Antworten
abgespeist werden konnte.
Helene Brandl hatte das
erst gar nicht versucht und offen über ihre mehrere Jahrzehnte zurückreichende
Bekanntschaft mit dem Ermordeten erzählt. Sie hatte den ›schrecklichen Menschen‹,
wie sie Lesonic unter konsequenter Vermeidung seines bürgerlichen Namens fast
immer bezeichnete, wohl ein Zeichen gesellschaftlicher Ächtung ihrerseits,
bereits vor 37 Jahren kennengelernt. »Eines Tages ist er plötzlich vor unserer
Schule gestanden und hat an uns Schüler Zigaretten verkauft. Stangenweise aus
dem Ostblock geschmuggelte Ware zu einem Spottpreis«, berichtete sie. »Jeden
Dienstag ist er in dem Jahr gekommen, an den restlichen Tagen hat er das
Dreckszeug vor anderen Schulen verhökert. Und das zu einem Preis, bei dem er
selbst kaum etwas verdient haben konnte.« Sie schüttelte verständnislos den
Kopf. »Seit damals habe ich den Eindruck gehabt, es geht ihm gar nicht ums
Geschäft, sondern darum, uns Junge süchtig zu machen.«
»Und die Polizei hat nichts dagegen unternommen?«,
wunderte sich Heidenreich. »Ich meine, ein Anruf hätte genügen müssen, um dem
Spuk ein Ende zu bereiten.«
»Sind Sie wirklich so naiv?« Das Lachen der Brandl
hatte etwas Spöttisches an sich. »Was glauben Sie, wie viele Polizisten
seinerzeit geraucht haben?«
Die jetzt radikale Nichtraucherin hatte damals
selbst getschickt, und das bis zu einem Schlüsselerlebnis etwa drei Jahre
später. »Nicht sehr viel, nur so bei Partys und ähnlichen Anlässen«, erinnerte
sie sich. »Im Schnitt aber doch so zehn Zigaretten am Tag. Also auch nicht
gerade ganz wenig.«
Dann hatte plötzlich das Schicksal mit voller Wucht
auf Helenes Familie eingeschlagen. Tante Gerda, die Schwester ihrer Mutter, war
eines Tages von einer Routineuntersuchung mit dem entsetzlichen Befund
Lungenkarzinom zurückgekommen. Die 41-jährige Nichtraucherin war nach weniger
als einem Jahr gestorben. Das heißt, elendiglich zugrunde gegangen. Abgesehen
von dem Schmerz über den Tod der lieben Verwandten, war Helene Brandl mit einer
gut gemeinten ärztlichen Warnung vor einem erhöhten eigenen Krebsrisiko wegen
entsprechender genetischer Disposition ziemlich geschockt allein gelassen
worden.
Von diesem Tag an veränderte sich ihr Leben
radikal. Helene hatte keine einzige Zigarette mehr angerührt und begonnen, sich
intensiv mit der Problematik des ›unfreiwilligen Mitrauchens‹, wie sie das
Passivrauchen zunächst genannt hatte, auseinanderzusetzen. Denn Tante Gerda war
Opfer sowohl des stark rauchenden Vaters als auch ihres ebenso unvernünftig
qualmenden Lebensgefährten Georg geworden. Das stand für die damals noch ganz
junge Helene zweifelsfrei fest. Nachdem sich Schorschi, dieser Arsch von
Partner, beim Leichenschmaus mit Tränen in den Augen eine Zigarette nach der
anderen angezündet und dabei geschwafelt hatte, wie ungerecht das Leben doch
sei, hatte Helene nicht anders gekonnt, als dem Fast-Onkel zwei Watschen zu
verpassen. Eine links und eine rechts, jedoch nicht schlampig, sondern mit
Wucht. Daraufhin hatte sie die heuchlerische Gesellschaft verlassen und seither
mit Georg nie wieder ein Wort gewechselt.
»Jetzt werden Sie vielleicht verstehen, warum mich das
Rauchen, ja allein die dazugehörigen Utensilien«, ihr Tonfall nahm einen
drohenden Klang an und ihr Blick wurde finster, als er sich an einem auf dem
Schreibtisch Heidenreichs stehenden Plastikbehältnis förmlich festkrallte, »so
in Rage bringen.«
Gut, Heidenreichs Aschenbecher war leer und sauber, aber:
»Sie wissen schon, dass das eigentlich ein Hinweis auf eine Gesetzesverletzung ist.
Oder eine Aufforderung dazu. Immerhin befinden wir uns hier eindeutig in einem
öffentlichen
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