Diamantenschmaus
scheute sich meistens auch nicht, ihr das mitzuteilen.
Das klang meist wie ›Du siehst in allem, was du anhast,
wunderschön aus, Schatzi‹ und war von ihm wahrscheinlich als Kompliment
gedacht. Dabei ärgerte sie sich jedes Mal fürchterlich über diese
standardisierte, wohlwollende Gleichgültigkeit.
Um wie viel netter waren da die kleinen, leisen Untertöne
gewesen, mit denen Oliver, also Herr Beckmann, ihr gestern während des
Abendessens den Hof gemacht und das Gefühl vermittelt hatte, nach wie vor eine
begehrenswerte Frau zu sein. Dabei hatte der Mann richtig schüchtern gewirkt.
Einmal war er sogar rot geworden.
Nach dem wirklich unvergleichlichen Diner, ja, Diner, denn bei
dieser kulinarischen Höchstleistung schlicht von einem Abendessen zu sprechen,
wäre wirklich gastroblasphemisch gewesen, waren sie in diese kleine Bar
gegangen.
Oliver war wirklich ein interessanter Mann und für
sein Alter ungemein erfahren. Was er ihr gestern im Morrison alles über Haute
Cuisine, edle Weine und das richtige Savoir-vivre erklärt hatte, war einsame
Klasse gewesen. Gut, er hatte lange als Gastrokritiker für ein
Feinschmeckermagazin gearbeitet … Aber das Wissen war sicher einige Zeit
vorher da gewesen, hatte sozusagen die Voraussetzung für diese hoch
qualifizierte Arbeit gebildet.
Neben seiner Tätigkeit als Redakteur im Innenressort seines
Blattes arbeitete Oliver gelegentlich als Kulturkritiker. ›Ich stamme aus einer
Familie, in der der Großvater mütterlicherseits bei den Symphonikern war und
jedes Familienmitglied mindestens ein Instrument spielt‹, hatte er beiläufig
fallen lassen, ›da wächst die Liebe zur Oper ganz von selbst heran. Oder der
Zorn. Bei mir war es Liebe.‹
Und als Oliver sie gebeten, nein, nicht eingeladen, sondern gebeten hatte, ihn morgen, also heute Abend zur Premiere von ›La Cenerentola‹ – ›mit
der Patschenkov als Aschenbrödel und dem Mandrisio als Don Ramiro, eine
Spitzenbesetzung‹ – zu begleiten, hatte sie nicht die Spur einer Chance gesehen
abzulehnen. Nein, ganz im Gegenteil, sie hatte mit Freuden zugesagt.
Irgendwie erinnerte Oliver sie an Mario, wie er vor vielen
Jahren gewesen war. Oder korrekter: Wie sie vor vielen Jahren geglaubt und
gehofft hatte, dass er sein würde.
Na ja, im Grunde genommen hatte sie es nicht schlecht mit ihm
getroffen. Auch wenn heute alles ein wenig nüchterner aussah, entbehrte das
natürlich nicht einer gewissen fatalen Logik. 26 Jahre hinterließen nun einmal
Spuren in jeder Partnerschaft.
Heute hatte sie den Vater ihrer Kinder zum Beispiel überhaupt
noch nicht gesehen, geschweige denn mit ihm gesprochen.
Als sie gestern, na ja, heute am frühen Morgen, nach Hause
gekommen war, war er nicht in der Wohnung gewesen. Wahrscheinlich hatte er
wieder im Institut übernachtet.
Auch den ganzen Tag über hatte er es nicht der Mühe wert
gefunden, sie zumindest einmal anzurufen. Gut, sie war nur schwer zu erreichen
gewesen und hatte nicht einmal Zeit gehabt, sich über das aktuelle Geschehen in
der Stadt zu informieren. Was sie als Lokalpolitikerin sonst immer machte.
Jeden Tag.
Doch ein Gespräch mit Mario am Handy entgegenzunehmen, eine
Handvoll Minuten hätte sie sich dafür sicher genommen.
Oliver war da anders. Er hatte sich zweimal bei ihr gemeldet
und erkundigt, wie es ihr ging. Das hatte nicht nach reiner Höflichkeit
geklungen, sondern so, als ob es ihm ein echtes Anliegen gewesen wäre. Wirklich
ein reizender Mensch, hoffentlich wurde aus Harry eines Tages ebenso ein
Gentleman wie dieser junge Journalist.
Wieso musste sie ausgerechnet jetzt an ihren Sohn denken?
Oliver erinnerte sie nun wirklich nicht an Harry. Dazu war er doch mit, na,
mindestens 30 Jahren viel zu alt.
Einen Moment lang hatte sie der Gedanke beunruhigt, jedoch
ging das schnell wieder vorbei. Ihre Uhr zeigte ihr, dass sie sich in 15
Minuten ein Taxi rufen musste. Demzufolge wurde es langsam Zeit, sich fertig zu
machen.
Mit ›Che gelida manina‹ als hörbares Zeichen ihrer Vorfreude
auf die Oper auf den Lippen, schlenderte sie ins Bad, um sich die Zähne zu
putzen. Na ja, italienische Opern waren nicht unbedingt ihre Stärke.
*
»Na, du hast ja heute für einige Schlagzeilen
gesorgt«, brummte Chefinspektor Wallner anerkennend, ehe er seinen alten
Mitstreiter Mario Palinski freundschaftlich in die Arme schloss.
»Es ist gut, wieder hier zu sein«, gestand er, »diese
Familientreffen gehen einem doch sehr an die Nieren. Auch wenn es nur
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