Diamond Age - Die Grenzwelt
in diesem Falle der Chinesischen Küstenrepublik. Dieser Nationalstaat kann Ihnen zusätzliche Rechte gewähren, muß es aber nicht; das werden wir in wenigen Augenblicken herausfinden, wenn wir den zuständigen Behörden die Situation erklären. Ah, ich denke, ich sehe bereits eine.«
Ein Constable der Polizei von Shanghai, dessen Beine in ein Pedomobil geschnallt waren, kam mit den gewaltigen, ausgreifenden Schritten, welche dieses Gerät ermöglichte, in Begleitung zweier Ashanti auf Powerskates die Straße entlang. Die Ashanti grinsten breit, doch der Constable stellte die stereotype unbewegte Miene zur Schau.
Der Häuptling der Ashanti verbeugte sich vor dem Constable und rezitierte anmutig ein weiteres längeres Zitat aus dem Gemeinschaftlichen Ökonomischen Protokoll. Der Constable ließ sich zu einer Geste zwischen einem Nicken und einer angedeuteten Verbeugung herab. Dann drehte sich der Constable zu Bud um und sagte sehr schnell: »Sind Sie Mitglied eines Signatarstammes, einer stammesähnlichen Gemeinschaft, einer eingetragenen Diaspora, eines franchise-organisierten quasi-nationalen Staatengebildes, eines souveränen Reiches oder einer anderen Form eines dynamischen Sicherheitskollektivs, dessen Status unter das GÖP fällt?«
»Willst du mich verscheißern?« sagte Bud. Das Zellophan klebte ihm die Lippen zusammen, so daß er sich wie eine Ente anhörte.
Vier Ashanti nahmen die Haltegriffe und hoben Bud vom Boden hoch. Sie folgten dem ausschreitenden Constable in Richtung der Brücke, die über das Meer nach Shanghai führte. »Wie sieht's denn aus?« quakte Bud durch die Zellophanfolie, »er hat gesagt, ich hätte vielleicht andere Rechte. Habe ich andere Rechte?«
Der Constable drehte den Kopf vorsichtig, damit er auf dem Pedomobil nicht das Gleichgewicht verlor, und sah über die Schulter. »Mach dich nicht lächerlich«, sagte er in ziemlich verständlichem Englisch, »dies ist China.«
Hackworths morgendliche Verrichtungen; Frühstück und Aufbruch zur Arbeit.
John Percival Hackworth, der an das morgige Verbrechen dachte, schlief schlecht und stand unter dem Vorwand, die Toilette aufsuchen zu müssen, dreimal auf. Jedesmal sah er nach Fiona, die in ihrem weißen Spitzennachthemd mit über dem Kopf ausgestreckten Armen in ihrem Bett lag und einen Purzelbaum in Morpheus' Arme zu schlagen schien. In dem dunklen Zimmer konnte man ihr Gesicht kaum erkennen; es glich dem Mond, wie man ihn durch die Falten weißer Seide sieht.
Um fünf Uhr schmetterte ein schrilles pentatonisches Wecksignal aus den klotzigen Mediatrons der Nordkoreaner. Ihre Klave, die den Namen Sendero trug, lag nicht weit über Meereshöhe: eine Meile tiefer als das Gebäude der Hackworths, und an einem durchschnittlichen Tag zwanzig Grad wärmer. Aber jedesmal, wenn der Frauenchor den ohrenbetäubenden Refrain über die allwissende Güte des Großen Vorsitzenden anstimmte, schien es, als läge sie gleich nebenan.
Gwendolyn rührte sich nicht einmal. Sie würde noch eine Stunde fest schlafen, oder bis Tiffany Sue, ihre Zofe, in das Zimmer kam und ihr die Kleidung zurechtlegte: ein bequemes Trikot für den Frühsport, ein Kostüm, Hut, Handschuhe und Schleier für später.
Hackworth zog einen Morgenmantel aus Seide aus dem Schrank und warf ihn über die Schultern. Als er den Gürtel um die Taille band, wobei die kalten Quasten über seine Finger glitten, warf er einen Blick durch die Tür von Gwendolyns Schrank und auf der anderen Seite wieder hinaus in ihr Boudoir dahinter. Am gegenüberliegenden Fenster dieses Raumes stand der Schreibtisch, an dem sie ihre gesellschaftliche Korrespondenz erledigte, eigentlich nur ein Tisch mit einer Platte aus echtem Marmor, darauf verstreut diverse Papiere, ihre eigenen und andere, die selbst aus dieser Entfernung unschwer als Visistenkarten, Besucherkarten, Erinnerungskarten und Einladungen verschiedener Leute, die immer noch gesichtet und gesiebt werden mußten. Der größte Teil des Boudoirbodens wurde von einem schäbigen Teppich beansprucht, an manchen Stellen so durchgetreten, daß man das Jutenetz darunter erkennen konnte, aber handgewebt und während der Mao-Dynastie von echten chinesischen Sklavenarbeitern entworfen. Seine einzige Funktion bestand darin, den Fußboden vor Gwendolyns Sportgeräten zu schützen, die im schwachen Licht glänzten, das von den Wolken Shanghais reflektiert wurde: ein schmiedeeiserner Step-Up im Beaux-Arts-Stil, ein kunstvoll aus verschlungenen
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