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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Seeschlangen und muskulösen Nereiden gestaltetes Rudergerät, ein Gestell mit Gewichten, das von vier Karyatiden mit schönem Po getragen wurde - keine stämmigen Griechinnen, sondern moderne Frauen, eine aus jeder der wichtigsten rassischen Gruppen, bei denen jeder Trizeps, jeder Gluteus, jeder Latissimus, jeder Schneidermuskel und jeder Rektus abdominalis eine Augenweide darstellte. Wahrlich klassische Architektur. Die Karyatiden sollten Idealbilder darstellen, und trotz unerheblicher Rassenunterschiede entsprach jede dem derzeitigen Idealbild: Sechsundfünfzig Zentimeter Taille, nicht mehr als 17% Körperfett. Diese Art von Körper ließ sich nicht mit Unterwäsche vortäuschen, was die Werbung in den Frauenzeitschriften auch immer versprechen mochte; die langen, engen Leibchen der aktuellen Mode und die modernen Stoffe, dünner als Seifenblasen, zeigten alles nur zu deutlich. Die meisten Frauen, die nicht über eine übermenschliche Willenskraft verfügten, schafften es nicht ohne Hilfe einer Zofe, die mindestens dreimal täglich ausgiebig mit ihnen trainierte. Als Fiona nicht mehr gestillt wurde und der Zeitpunkt nicht mehr fern war, an dem Gwen ihre Umstandskleidung ablegen mußte, hatten sie Tiffany Sue eingestellt auch ein Kostenfaktor in Zusammenhang mit dem Kind, der Hackworth erst bewußt wurde, als die Rechnungen eintrafen. Gwen warf ihm halb im Spaß vor, daß er Tiffany Sue schöne Augen mache. Dieser Vorwurf gehörte fast zu den üblichen Formalitäten moderner Ehen, da Zofen stets jung, hübsch und makellos gebaut waren. Aber Tiffany Sue war eine typische Thete, laut und gewöhnlich und geschmacklos geschminkt; Hackworth konnte sie nicht ausstehen. Wenn er jemandem schöne Augen machte, dann jenen Karyatiden, die das Gestell der Gewichte hielten; für sie sprach wenigstens ein erlesener Geschmack.
    Mrs. Hull hatte ihn nicht gehört und stolperte immer noch schlaftrunken in ihrer Kammer herum. Hackworth schob einen Sauerteigfladen in den Röstofen, ging mit einer Tasse Tee auf den winzigen Balkon der Wohnung hinaus und genoß die morgenfrische Brise der Jangtsemündung.
    Das Gebäude der Hackworths war eines von mehreren, die an einen Garten von der Länge eines ganzen Blocks angrenzten, wo einige Frühaufsteher bereits ihre Spaniel ausführten oder Rumpfbeugen machten. Tief unten an den Hängen von New Chusan erwachten die Leasing-Parzellen zum Leben: Die Senderos strömten aus ihren Baracken und stellten sich in Reihen auf den Straßen auf, um singend ihre Leibesertüchtigung zu absolvieren. Alle anderen Thetes, die eingepfercht in den schäbigen kleinen Klaven ihrer synthetischen Phylen lebten, schalteten ihre eigenen Mediatrone ein, um die Senderos zu übertönen, ließen Feuerwerkskörper oder Gewehre erschallen - die beiden konnte er nie auseinanderhalten -, und ein paar Verbrennungsmotorbastler ließen ihre primitiven Fahrzeuge an, die die Breite einer ganzen Fahrspur für sich beanspruchten; je lauter, desto besser. Pendler standen an den U-Bahn-Haltestellen Schlange und warteten, bis sie über die Brücke nach Groß-Shanghai fahren konnten, das man lediglich als Sturmfront von neonerleuchtetem rußigen Smog erkennen konnte, die den ganzen Horizont einnahm.
    Das Viertel trug die abfällige Bezeichnung Hörweite. Aber Hackworth störte der Lärm nicht weiter. Es wäre ein Zeichen höherer Geburt oder größerer Ambitionen gewesen, deswegen schrecklich empfindlich zu sein, sich andauernd darüber zu beschweren und sich nach einem Reihenhaus oder gar einem kleinen Grundstück weiter im Landesinneren zu sehnen.
    Schließlich läuteten die Glocken der Markuskirche sechs Uhr. Mrs. Hull rauschte beim ersten Schlag in die Küche und verlieh ihrer Scham Ausdruck, daß Hackworth vor ihr da war, aber auch ihrem Unmut, weil er die Küche entweiht hatte. Der Materie-Compiler in der Ecke sprang automatisch an und schuf ein Pedomobil, das Hackworth zur Arbeit befördern würde.
    Bevor der letzte Glockenschlag verklungen war, konnte man das rhythmische Tschack-tschack-tschack einer großen Vakuumpumpe hören. Die Ingenieure der Königlichen Vakuumanlage waren bereits bei der Arbeit und erweiterten die eutaktische Umgebung. Dem Klang nach handelte es sich um große Pumpen, wahrscheinlich Gigantos, und Hackworth vermutete, daß sie im Begriff sein mußten, ein neues Gebäude hochzuziehen, möglicherweise einen Flügel der Universität.
    Er setzte sich an den Küchentisch. Mrs. Hull bestrich seinen

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