Diamond Age - Die Grenzwelt
Mannes und bewirkte, daß der Arm hübsch kerzengerade ausgestreckt blieb - der Trizeps zog jetzt ohne ausgleichenden Widerstand. Der Mann biß die Zähne zusammen, seine Augen quollen aus den Höhlen, und einen Moment gab er seltsam grunzende Laute tief aus der Brust heraus von sich, während er sich größte Mühe gab, nicht laut aufzuschreien. Bud betrachtete die Verletzung fasziniert. Es war, als würde man in einem Raktiven auf Leute schießen.
Aber die Schlampe schrie nicht oder winselte um Gnade. Sie wandte ihm nur den Rücken zu, schirmte das Baby mit dem Körper ab und sah Bud gelassen über die Schulter an. Bud fiel auf, daß auch sie eine kleine Narbe an der Wange hatte.
»Als nächstes ist dein Auge fällig«, sagte Bud, »und dann mach ich mich über die Schlampe her.«
Der Mann hielt die unversehrte Hand hoch, Handfläche nach außen - eine Geste der Unterwerfung. Er holte alles an harten Ucus aus der Tasche, was er drin hatte, und gab sie ihm. Und dann machte sich Bud aus dem Staub, weil die Monitore - mandelgroße Aerostats mit Augen, Ohren und Funkgeräten - das Geräusch der Explosion wahrscheinlich aufgefangen hatten und das Gebiet bereits durchkämmten. Einen mit einer kurzen Antenne, in der sich das Licht spiegelte wie in einem Haarriß in der Atmosphäre, sah er an sich vorbeiziehen, als er um die Ecke bog.
Drei Tage später hing Bud in der Nähe des Aerodroms herum und hielt nach leichter Beute Ausschau, als ein großes Schiff aus Singapur einlief. Mitten in dem Strom von zweitausend Neuankömmlingen hielt sich eine Gruppe von etwa zwei Dutzend kräftigen schwarzen Männern auf, die Anzüge trugen, bunte Tücher um den Hals trugen und kleine Narben auf den Wangenknochen hatten.
Später an diesem Abend hörte Bud zum erstenmal in seinem Leben das Wort
Ashanti.
»Gerade sind wieder fünfundzwanzig Ashanti aus L. A. eingetroffen!« sagte ein Mann in einer Bar. »Die Ashanti haben eine Generalversammlung im Konferenzzimmer des Sheraton abgehalten!« sagte eine Frau auf der Straße. »Einer der Ashanti hat mir fünf Yuks gegeben. Das sind anständige Leute.«
Als Bud einen Typen traf, den er kannte, einen ehemaligen Kollegen aus der Lockvogelbranche, sagte er: »He, hier wimmelt's geradezu von Ashanti, was?«
»Jawohl«, sagte der Typ, der unerklärlich erschrocken darüber aussah, Buds Gesicht auf der Straße zu sehen, plötzlich unangenehm nervös wurde und ständig hierhin und dorthin sah.
»Sie müssen eine Versammlung oder so was haben«, mutmaßte Bud. »Ich hab gestern nacht einen ausgenommen.«
»Ja, ich weiß«, sagte sein Freund.
»Wie? Woher weißt du das?«
»Sie haben keine Versammlung, Bud. Diese ganzen Ashanti -außer dem ersten - sind nur in die Stadt gekommen, um dich zu jagen.«
Eine Lähmung befiel Buds Stimmbänder, ihm wurde schwindlig, und er konnte sich nicht konzentrieren.
»Ich muß weiter«, sagte sein Freund und entfernte sich aus Buds Umfeld.
Die nächsten Stunden kam es Bud so vor, als würde ihn jeder auf der Straße ansehen. Bud jedenfalls behielt alle und jeden im Auge, suchte nach den Anzügen, den bunten Stofftüchern. Aber er sah einen Mann in kurzen Hosen und T-Shirt - einen Schwarzen mit hohen Wangenknochen, einer kleinen Narbe auf einem dieser Wangenknochen und ungeheuer aufmerksamen, beinahe asiatischen Augen. Also konnte er sich nicht darauf verlassen, daß die Ashanti stereotype Kleidung trugen.
Kurze Zeit später tauschte Bud seine ganze Kleidung mit einem Mittellosen am Strand, wonach er selbst ein T-Shirt und kurze Hosen trug. Das T-Shirt war viel zu klein, es kniff unter den Armen und preßte gegen seine Muskeln, so daß er die unablässigen Zuckungen mehr denn je spürte. Er wünschte sich, er könnte die Stimulatoren abschalten und seinen Muskeln nur für eine Nacht Ruhe gönnen, aber dazu wäre ein Besuch in einem Mod-Salon erforderlich, und er mußte davon ausgehen, daß die Ashanti sämtliche Mod-Salons beobachteten.
Er hätte eines der zahlreichen Bordelle aufsuchen können, wußte aber nicht, über welche Beziehungen diese Ashanti verfügten - nicht einmal genau, was ein Ashanti eigentlich
war
-, und er bezweifelte, ob er unter den gegebenen Umständen überhaupt einen hochgekriegt hätte.
Während er durch die Straßen düste und stets bereit war, sein Visier auf jeden Schwarzen zu richten, der seinen Weg kreuzen sollte, dachte er über sein ungerechtes Schicksal nach. Woher hätte er wissen sollen, daß der Typ einem Stamm
Weitere Kostenlose Bücher