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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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sagte sie und drehte sich zu ihm um.
    »Nell, ich wollte dir sagen, wie gut du aussiehst«, sagte er, »wie die vornehmste Vicky-Lady in ganz Atlantis. Ich kann nicht glauben, daß du dieselbe Nell bist, der ich Geschenke mit in unsere alte Wohnung gebracht habe – erinnerst du dich noch an die Zeit? Ich weiß, seit diesem Morgen in Dovetail sind wir beide getrennte Wege gegangen, und ich weiß, es hat 'ne Menge mit dieser Fibel zu tun. Ich wollte dich nur wissen lassen, Schwesterherz, auch wenn ich manchmal böse Sachen über die Vickys sage, daß ich stolz auf dich bin, und ich hoffe, wenn du deine Fibel liest – die so voller Sachen steckt, die ich niemals begreifen oder auch nur lesen könnte –, denkst du an deinen Bruder Harv, der sie vor Jahren auf der Straße hat liegen sehn und dann beschlossen hat, sie seiner kleinen Schwester mitzubringen. Wirst du daran denken, Nell?« Danach steckte er sich den Sauerstoffschlauch wieder in den Mund, und seine Rippen hoben sich.
    »Natürlich denke ich daran, Harv«, sagte Nell, der Tränen in die Augen traten, und stolperte wieder durch das Zimmer, bis sie Harvs aufgedunsenen Körper in ihre kräftigen Arme nehmen konnte. Der Schleier wogte wie Wasser, das man Harv ins Gesicht geschüttet hatte, und alle kleinen Schirme wichen aus, als sie ihr Gesicht über seines senkte und ihm einen Kuß auf die Wange drückte.
    Der Schleier zog sich wieder zusammen, als Harv auf die Schaumstoffmatratze zurücksank – wie die Matratzen, die sie vor langer Zeit mit dem MC gemacht hatte, als er ihr gezeigt hatte, wie es ging –, dann drehte sie sich um und lief schluchzend aus dem Zimmer.
     

Hackworth wird von dem großen Napier auf den neuesten Stand gebracht.
    »Hatten Sie schon Gelegenheit, mit Ihrer Familie zu sprechen?« fragte Oberst Napier, der aus einer mediatronischen Tischplatte in seinem Büro in Atlantis/Shanghai sprach. Hackworth saß in einem Pub in Atlantis/Vancouver.
    Jetzt, in der fortgeschrittenen Lebensmitte, sah Napier gut aus -imposanter. Er hatte an seiner Körperhaltung gearbeitet. Hackworth war vorübergehend beeindruckt gewesen, als Napiers Bild auf dem Mediatron Gestalt angenommen hatte, dann dachte er an sein eigenes Ebenbild im Spiegel. Als er sich gewaschen und den Bart gestutzt hatte, den er behalten wollte, war ihm klargeworden, daß er ebenfalls eine neue Haltung besaß. Auch wenn er nicht die geringste Ahnung hatte, wie er dazu gekommen war.
    »Ich dachte mir, ich sollte zuerst herausfinden, was überhaupt passiert ist. Außerdem –« Er verstummte eine Zeitlang. Es machte ihm Mühe, seinen Gesprächsrhythmus wiederzufinden.
    »Ja?« sagte Napier, deutlich um Geduld bemüht.
    »Ich habe nur heute morgen mit Fiona gesprochen.«
    »Als Sie die Tunnel verlassen hatten?«
    »Nein. Vorher. Bevor ich - aufgewacht bin, oder was auch immer.«
    Napier schien ein wenig betroffen zu sein, ließ nur kurz die Kiefermuskeln spielen, griff nach seinem Tee und sah unnötigerweise zum Fenster hinaus, um die Aussicht zu würdigen, die sich ihm von seinem Schreibtisch in New Chusan bieten mochte. Hackworth begnügte sich auf der anderen Seite des Pazifik damit, in die tintenschwarze Tiefe einer Pint Stout zu schauen.
    Ein Traumbild stieg in Hackworths Geist empor wie ein Stück Treibgut, das nach einem Schiffsunglück an die Oberfläche kommt und dabei unerbittlich tonnenweise grünen Schlick verdrängt. Er sah, wie ein glänzendes blaues Projektil, das eine dicke Kordel hinter sich herzog, in die beige behandschuhten Hände des Doktors geschossen wurde, und beobachtete, wie es erblühte und zu einem Baby wurde.
    »Warum habe ich daran gedacht?« sagte er.
    Napier schien die Bemerkung zu verwirren. »Fiona und Gwendolyn befinden sich jetzt in Atlantis/Seattle - mit der U-Bahn eine halbe Stunde von ihrem Aufenthaltsort entfernt«, sagte er.
    »Natürlich! Sie - wir - leben jetzt in Seattle. Das wußte ich.« Er erinnerte sich, wie Fiona im Krater eines schneebedeckten Vulkans herumkletterte.
    »Wenn Sie den Eindruck haben, Sie hätten in letzter Zeit Kontakt mit ihr gehabt - was, wie ich fürchte, nicht gut möglich ist -, dann muß es über die Fibel geschehen sein. Wir sind nicht imstande, die Signale zu entschlüsseln, die die Höhle der Trommler verlassen, aber eine Verkehrsanalyse ergab, daß Sie in den letzten zehn Jahren eine Menge ragiert haben.«
    »Zehn Jahre?«
    »Ja. Aber das müssen Sie doch anhand bestimmter Anzeichen vermutet haben.«
    »Es kommt mir

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