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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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daß keiner auch nur einen Moment annimmt, die Nipponesen hätten nicht schon mit einigen Vorschlägen parat gestanden, wie sie diese Freizeit am besten nutzen sollten. Ein genialer Mann in der Firmenzentrale, der über den uneinholbaren Vorsprung der Nipponesen in der nanotechnologischen Reisproduktion sinnierte, kam zu dem Ergebnis, daß sie nur eine Chance hätten, die Konkurrenz hinter sich zu lassen, wenn sie in die Massenproduktion ganzer Fertiggerichte gingen, von Wonton bis hin zu interaktiven digitalen Glückskeksen. Hackworth bekam die scheinbar triviale Aufgabe, den Materie-Compiler so zu programmieren, daß er Eßstäbchen ausspuckte.
    Stäbchen aus Plastik zu machen war auf geradezu idiotische Weise einfach – Polymere und Nanotechnologie paßten zusammen wie Zahnpasta und Tuben. Aber Hackworth, der als Student sein gerüttelt Maß chinesische Speisen zu sich genommen hatte, hielt nicht besonders viel von Plastikstäbchen, die in den klobigen Pranken eines
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rutschig und tückisch waren. Bambus war viel besser - und nicht viel schwieriger zu programmieren, wenn man nur über ein Quentchen Phantasie verfügte. Nachdem diese entwerferische Hürde überwunden war, dauerte es nicht lange, bis er auf die Idee kam, Werbefläche auf den verdammten Dingern zu verkaufen, da Eßstäbchen und die senkrechte chinesische Schreibweise perfekt zueinander paßten. Es dauerte nicht lange, und er präsentierte seinen Vorgesetzten den Einfall: ungeheuer benutzerfreundliche Eßstäbchen aus Bambus mit farbenfrohen Werbebotschaften, die unablässig in Echtzeit über die Griffe flackerten wie die Schlagzeilen am Times Square. Dafür wurde Hackworth die Leiter hinauf in die Abteilung Sonderprojekte und über den Pazifik nach Atlantis/ Shanghai befördert.
    Heutzutage sah man die Stäbchen überall. Für die Dividenden-Lords war der Einfall Milliarden wert gewesen; für Hackworth einen Wochenlohn. Genau dort lag der Unterschied zwischen den Gesellschaftsschichten.
    Verglichen mit den meisten anderen Menschen auf der Welt ging es ihm gar nicht so schlecht, trotzdem plagte ihn Unzufriedenheit. Er wollte mehr für Fiona. Er wollte, daß Fiona aufwuchs und es selbst zu Wohlstand brachte. Nicht nur zu ein paar in gewöhnliche Wertpapiere investierten Pennys, sondern zu einer ansehnlichen Position bei einer der großen Firmen.
    Der einzige Weg dorthin bestand darin, selbst eine erfolgreiche Firma zu gründen. Hackworth hatte von Zeit zu Zeit darüber nachgedacht, es aber nie getan. Über die Gründe dafür war er selbst nicht ganz sicher; an guten Ideen mangelte es ihm nicht. Dann fiel ihm auf, daß es in der Abteilung Sonderprojekte von Leuten mit guten Ideen wimmelte, die nie dazu kamen, ihre eigenen Firmen zu gründen. Und er hatte einige der angesehenen Lords kennengelernt, beträchtliche Zeit mit Lord Finkle-McGraw verbracht, um Runcible zu entwickeln, und er hatte gesehen, daß sie im Grunde genommen auch nicht klüger waren als er selbst. Die Persönlichkeit machte den Unterschied aus, nicht die angeborene Intelligenz.
    Für Hackworth war es zu spät, seine Persönlichkeit
zu
verändern, aber für Fiona nicht.
    Bevor Finkle-McGraw mit dem Einfall für Runcible zu ihm gekommen war, hatte Hackworth selbst viel Zeit darauf verwendet, über das Thema nachzudenken, meistens, wenn er Fiona auf den Schultern durch den Park trug. Er wußte, er mußte seiner Tochter distanziert erscheinen, obwohl er sie von ganzem Herzen liebte - aber nur, weil er in ihrer Gegenwart an nichts anderes als ihre Zukunft denken konnte. Wie konnte er ihr die emotionale Haltung einer Adligen einbleuen - den Willen, Risiken im Leben einzugehen, eine eigene Firma zu gründen, vielleicht sogar mehrere, wenn die ersten Versuche erfolglos blieben? Er hatte die Biographien einiger angesehener Adliger gelesen und wenig Gemeinsamkeiten zwischen ihnen entdeckt.
    Als er gerade dabei war, aufzugeben und alles dem Zufall zuzuschreiben, hatte Lord Finkle-McGraw ihn in seinen Club eingeladen und fing an, von genau demselben Thema zu sprechen.
    Finkle-McGraw konnte nicht verhindern, daß die Eltern seiner Enkelin Elizabeth sie auf genau die Schulen schickten, vor denen er jeden Respekt verloren hatte; er hatte kein Recht, sich einzumischen. Seiner Rolle als Großvater entsprach es, nachsichtig zu sein und Geschenke zu machen. Aber weshalb sollte er ihr nicht ein Geschenk machen, das genau das Element lieferte, welches in den Schulen fehlte?
    Hört sich genial an,

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