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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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Und von der Armee ist bekannt, daß ein Teil der Soldaten extrem verroht.« – » Was möchten Sie sagen?« – » Autor sein schadet dem Charakter«, flüsterte er.
    Bei uns war die Krippe breit genug, warum zerfleischten auch dort die Autoren einander? Robert ist noch gut weggekommen verglichen mit dem Jungstar Chris Abel, der regelrecht verhaßt war. Abel reiste separat an und blieb immer höflich, ein Überflieger. Sein erstes und bis dahin einziges Buch lag in den Läden wie Blei, doch sein Auftreten war das eines künftigen Akademiepräsidenten. Der Lyriker Bernward verfaßte Zoten auf Abel, der Essayist Schlott formulierte haßerfüllte Verrisse, der Romancier Krawski brach in Tränen aus, als Abel ihm eine sachliche Frage stellte. In den Pausen lästerte man über Abels Lederjacke, die wie ein Jackett geschnitten war, man besprach den Affront, daß Abel nicht wie alle von Dienstag bis Freitag, sondern nur von Mittwochmorgen bis Donnerstagabend antrat. Abel aber wandelte wie Jesus über dieses Meer von Neid.
    Abends sprach man dem Alkohol zu. Ein fast vorsätzlicher kollektiver Absturz: jäh alle Schrauben gelockert, Vereinzelung gelöst, Privilegien, tagelanges Fest; politische Freizügigkeit, wobei man nie vergaß, daß die für andere nicht galt. Natürlich versuchte man, die eigene Willfährigkeit zu verbergen.
    Schließlich aber als Hauptkünstlerleiden – Leute, wer ist das , der da brennend zu uns herabstürzt? – unsere Ohnmacht. Das Leben zu flüchtig, die Aufgabe zu groß; der höchste Lohn sind zehn gute Zeilen neben tausend, für die man sich lebenslang schämt. Manchmal erschließt sich einem was, das ist eine Gnade. Keiner weiß, warum er sie bekommt und ob sie wiederkommt. Jeder spürt den Schmerz, wenn sie geht. Sofern er seine Existenz an sie geknüpft hat, erfährt er das als Versagen. Dem entgeht keiner. Da betäubt man sich gelegentlich. In Strehlau taten das alle gleichzeitig. Es gab legendäre Exzesse.
    Eines fortgeschrittenen Abends meldete sich der Lyriker Jested zu Wort. Jested lebte von Kinderbüchern, schrieb aber jedes Jahr fünf hochkarätige Gedichte über Themen wie Zwjetajewas Exil oder Dantes Hölle. Er hatte es als einziger der Runde nicht nötig zu trinken, weil er süchtig nach Beruhigungsmitteln war; aber an diesem Abend schwankte er, deswegen gab man ihm ein Glas in die Hand, er trank’s aus und fiel um. Man hievte ihn aufs Podium und setzte ihn auf einen Stuhl, und er, leichenblaß, ein schwerer Mann mit zuckendem Gesicht, wies auf das Buch, das er auch in der Ohnmacht nicht losgelassen hatte: Da stehe alles drin. Das Buch war ein mittelmäßiger Betriebsroman des Parteiautors Zoecke, und alle wieherten, als Jested ankündigte, er werde jetzt blind auf irgendeinen Satz tippen, und der jeweils Angesprochene werde merken, daß es prophetisch sei. Schon zitierte er die erste Stelle: Dann war aber wirklich alles für naß. Lektor Pönitz, der frisch geschieden war, versteinerte.
    Die zweite Stelle lautete: Sieben Prozent sind nicht genug! und wurde dem Volksschullehrer und Parteisekretär Braus aus Eberswalde zugedacht, der sich bisher ausschließlich mit Parteibiographien als Autor ausgewiesen hatte. Braus wurde rot. Gelächter.
    Wann die Stimmung umschlug, konnte hinterher keiner mehr sagen. Beim zehnten Satz waren alle Zuhörer verstummt, beim elften so weiß im Gesicht wie ihr Prophet zu Beginn der Séance. Jested sprach tonlos, mit einer unheimlichen Ruhe, während ihm sein dünnes graues Haar seitwärts vom Kopf abstand wie eine fliegende Untertasse. Der zwölfte Satz (Ihr wurde doch klar, daß es nicht reicht) betraf Rosina Schuster, die seit ihrem ersten und einzigen Mädchenroman so schwer trank, daß sie das Alphabet verlernt hatte. Rosina wankte schluchzend in ein dunkles Nebenzimmer, und ein Dramatiker lallte: » Det Exkrement sollte abjebrochen werden!« – » Woher wissen Sie, daß Parallellen sich im Unendlichen schneiden?« las Jested fahl, den Finger gerichtet auf Inter-Max, einen bekannten Zuträger der Stasi. – » Idiot!« rief Inter-Max, » Guck doch ma uffn Schienenstrang, wat siehste da mit bloßem Ooge?« Alle schrien durcheinander. » Nächster Satz?« lächelte Jested. Die erste Reihe sah aus, als würde sie ihn gleich in Stücke reißen.
    Auf einmal löste sich die Versammlung tumultartig auf, eine Horde zog singend zum Friedhof. Dort schlug es Mitternacht. Ein Sturm erhob sich, Bäume knarrten, Wind heulte um die Grabsteine, die ganze Bande

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