Dichterliebe: Roman (German Edition)
neidisch, daß wir’s in der DDR so gut hatten? Leider sitzt sie nicht neben mir, sondern schräg gegenüber. » Wir verkaufen den Porsche«, flüstere ich ihr zu.
» Morgen«, flüstert sie zurück.
» Ich habe nämlich beschlossen, meinen Porsche zu verkaufen!« erkläre ich der Runde.
Unwillige Blicke.
Irene spricht ruhig, aber bestimmt in die Stille hinein: » Ich bitte dich, Henry, ausnahmsweise einmal eine Stunde lang zu dulden, daß nicht von dir die Rede ist.« Die umständliche Periode im schleppenden Schweizerdeutsch zieht mir den Boden unter den Füßen weg. Warum lasse ich mir das bieten? Nun, alle nicken, wie üblich stehe ich allein. Ich verstumme und lasse mir noch Tomatensuppe geben.
Sidonie zu Robert: » Sieht aus, als wärt ihr euch dort alle ziemlich einig gewesen.«
» Wir waren uns einig«, sagt Robert.
Wir!
» Eigentlich konnten wir über alles reden«, behauptet er. » Ob Frau Honecker sich wirklich für den Posten der Erziehungsministerin eigne etwa, oder über eine geheime Analyse des Ministeriums für Staatssicherheit, nach der die DDR wirtschaftlich am Ende sei. Diese Studie gab es wirklich. Natürlich wurde sie unter Verschluß gehalten. Keine Ahnung, woher wir das wußten, aber diskutiert haben wir’s. Nur schreiben durften wir nicht darüber.«
» Wie hielt man das aus?«
» Zynismus und Alkohol!«
Unterdrücktes Lachen. Warum unterdrückt? Wollen sie uns schonen? Und warum Gelächter? Was ist komisch? Warum ist dieser Robert so aufgekratzt? Sein blasses Intellektuellengesicht ist so gerötet, als flösse Blut durch seine Adern. Schon beginnt er, DDR -Witze zu erzählen. Der abgedroschene Kalauer: Was bleibt mir Walter Ulbricht! statt Was bleibt mir weiter übrig! erntet erstes Kichern: Hihihi. » Die finale Schrumpfform war: Walter Ulbricht!« Hahaha! wiehern sie, mich schmerzt es, der verklemmte Robert als Alleinunterhalter – daß ich das erleben muß, Blick auf Irene, die warnend ihren Zeigefinger an die Lippen legt, Blick auf die völlig charakterlose Sidonie, die jedem, der was zu erzählen hat, zu Füßen liegt. Erbarmungslos fährt Robert fort: Was ist ein Ulb? – Die Zeitspanne, die man brauchte, um das Radio abzuschalten, wenn Ulbricht sprach. – Was ist ein Schnitz? Ja genau, Schnitzler vom Schwarzen Kanal. Huuh! jaulen sie. Ein Schnitz war ein Zehntel Ulb. Brüllendes Gelächter.
Wir sind mit den Wessis in einem neuen Wettbewerb, fällt mir ein: nicht mehr wie früher Exoten, sondern Konkurrenten. Natürlich gibt das keiner zu. Lieber disqualifiziert man unsere Kunst, weil sie in Unfreiheit entstanden sei. Haydn schrieb seine Sinfonien im Auftrag eines Feudalherrn, der die Bauern ausquetschte. Sind die Sinfonien deshalb weniger wert? Ich könnte laut fragen, fürchte aber die Reaktion: Haydn war genial. Bist du’s? Und meine Antwort: Seid ihr’s? – Wir mußten zumindest nicht lügen, käme dann. Selbstillusion macht stark.
Um meinen Teller ein Kranz von tausend roten Tröpfchen.
*
Ich bin nach höflichem Gruß aufrecht in meinen Schafstall zurückgekehrt, doch an Schlaf ist nicht zu denken, Gedanken kreuz und quer, Fingerspitzen vibrieren – was für eine Peinlichkeit. Tausend Blutströpfchen um den Teller versprüht, während ich mir einbildete, stoisch meine Suppe zu löffeln – es gibt tausend Gründe zu verzweifeln und nur Arbeit, um sich festzuhalten. Halb zwei Uhr nachts. Ich knipse mein Laptop an und lade Karatschinzew, leiere mich an die richtige Stelle und lese höhnisch lachend gleich in der dritten russischen Zeile die Worte sto gramm, hundert Gramm, gemeint ist Wodka. Ich gehe sofort zum Kühlschrank und gieße mir sto gramm in den Hals, ein weiches Rinnsal, fast schmeichelnd. Im Stehen spüre ich meine Adern sich weiten, das Herz leichter schlagen, ich atme durch, gieße nach. Der Alkohol legt sich als Ölfilm auf die hüpfende Kreuzsee in mir. Ich taumle die Wendeltreppe hinauf. Betäubter Schlaf bis halb vier, draußen noch dunkel, erstes Geknarze von Dohlen. Labil. Mein Kollege Struck hat mal einen Spottvers geschrieben, den alle auf mich bezogen: Wahrsager Weiger zwischen Wut und Weinen – Struck schrieb natürlich nicht Steiger, damit er erstens immer behaupten konnte, ich sei nicht gemeint, zweitens im Notfall das Weiger (von sich weigern ) als Kompliment ausgeben, drittens, um über die veraltete Form des Stabreims dezent seine Meinung über mich kundzutun, und viertens um sagen zu können, der Stabreim sei die adäquate Form
Weitere Kostenlose Bücher