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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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nicht Labilität gesagt, sondern Impulsivität, und das sei doch eine Stärke, denn es mache mich unkontrollierbar und somit nach gemeinem Verständnis stark, ich solle dankbar sein für dieses Prestige blablabla – ein verschlagener Intellektueller halt. Durch mein von Alkohol und Hunger geschwächtes Bewußtsein schießt eine kurze Springflut des Hasses, die sich mit den weichen Wellen der Erwartung kreuzt, immerhin: Am Horizont immer noch der Widerschein des Schimmels … Halte die Stimmung. Sieh die Frauen an, ihre gefühlvollen Gesichter. Das mütterliche Lächeln von Irene. Das mopsige Dauerstaunen von Sidonie. Hör nicht hin, was sie reden.
    Nun, das kann ich nicht. Offenbar ist Roberts Performance gerade erst beendet, und natürlich fragt ihn Gideon in seiner flockigen Art, warum er kein Dissident gewesen sei. Natürlich wird Robert sich verteidigen, fünf Jahre nach der Wende müssen wir uns immer noch verteidigen, ich kenne das zum Erbrechen und starre meinen Löffel an. Soll ich die Suppe … Nein, zu gut. Eine dampfende Tomatensuppe mit Sherry, ein Häubchen Schmand drauf. Schön sieht es immer aus, wenn bildende Hände im Spiel sind: Der Tisch ist mit weißem Papier gedeckt, in Glasschälchen schwimmen Teelichter, eine Skulptur aus grünen Servietten steht vor mir, so kunstvoll gefaltet, daß man sich kaum den Mund abwischen mag. In polierten Weingläsern rubinroter Wein. Die Bildenden sind, weil schon Farben ein Vermögen kosten, noch ärmer als wir. Aber ihre Phantasie macht den billigsten Imbiß zum Fest.
    » Wir sind Reaktorasche, Sternenstaub«, zitiert Gideon. » Das soll kritisch gewesen sein?«
    » Nihilismus und Defätismus«, antwortet Robert stolz.
    » Hat man’s verboten?«
    » Nein. Ich hatte allerdings Glück.«
    Soll ich mich aufregen? Ja, ich rege mich auf. Der Hochstapler erhebt sich zum Inquisitor. Dieses Pack hat mehr Gefühl für Macht als für Kunst, es nutzt instinktiv unsere Schwäche. Du Null! denke ich, welchem Druck bist du je ausgesetzt gewesen? Ohne Not bedienst du deinen Markt, und deine ganze Stärke besteht darin, dir einzubilden, du tätest es freiwillig. Du bist in nichts nichts nichts! besser als unser devotester Parteidichter, der sich immer noch auf seine Angst vor der Stasi berufen konnte. Du aber, der seine Kunst schon für ein paar Mark verrät, du wärst um der Karriere willen auf Knien um den Palast der Republik gerutscht und hättest das als Performance ausgegeben.
    » Unser Leben war bunter, als du denkst«, sagt Robert.
    » Bunt?« Dieses Wort aus Malermund klingt, immerhin, eindrucksvoll.
    » Bei diesem Gedichtband war’s so: Der Zensor litt an Krebs und überschritt mehrere Termine. Dann starb er, und sein Nachfolger, der den Schreibtisch leer bekommen wollte, erteilte rasch alle Druckgenehmigungen, die mehr als ein Jahr überfällig waren. Das Buch wurde gesetzt, der Premierentag bestimmt. Plötzlich, an einem Sonntagmorgen, kriege ich ein Telegramm, ich soll sofort in den Verlag kommen. Ein Außengutachter hat im letzten Moment Bedenken angemeldet. Da aber der Verlag an der Verzögerung nicht schuld war und eine Sperre hohe Kosten verursacht hätte, wurden bloß einzelne Korrekturen verlangt, als Unterwerfungsritual: Der Titel müsse geändert werden, diese Zeile, jene Zeile, bestimmte Wörter, der übliche Quatsch …«
    » Was für Wörter?«
    » Zum Beispiel in meiner Armeeerzählung die Begriffe Spritzer, Vize, EK . So nannten wir die Wehrpflichtigen der drei Diensthalbjahre. Es ist aber Knastsprache, und die Leser sollten nicht denken, daß unsere sozialistischen Soldaten sich etwa als Gefangene fühlten. Am schwierigsten zu ersetzen war EK , was Entlassungskandidat bedeutet. Wir schrieben also die Genossen, die am längsten gedient hatten oder ähnliches. Den ganzen Tag telefonierte der Cheflektor mit der Zensurbehörde, ich saß dabei, bekam literweise Kaffee zu trinken und mußte mich mit allem einverstanden erklären. Sie schwitzten, sie wanden sich, und ich sah, sie kämpften auch um ihre Ehre. Bei einer Stelle wäre der Seitenumbruch betroffen gewesen, da rief der Cheflektor auf einmal kühn, das werde nicht geändert, das nehme er auf seine Kappe. Am Abend holte er stolz aus einem Tresor eine Flasche armenischen Kognak, damit wir anstoßen konnten – auf drei nicht geänderte Wörter und einen Seitenumbruch. Solche Mühe gab man sich in der DDR mit Dichtern«, beschließt Robert feierlich.
    Sidonie lächelt mir zu – verständnisvoll? Oder

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