Dichterliebe: Roman (German Edition)
-Dichterin, die sich 1966 das Leben nahm.
Da kommt der schwarze Wagen
Das Pferd, das geht im Schritt
Und wer allein nicht laufen kann
Den nimmt der Wagen mit.
Titel?«
» Leichenwagen?«
» Nein, wäre banal. Der schwarze Wagen .«
Reizend sieht sie aus, wenn sie denkt. Um sie zu beschäftigen, frage ich weiter. » Eine Doppelbedeutung gibt es auch hier. Wodurch?«
» Den Scherzton!« ruft sie eifrig.
» Tja.« Ich sehe ihre Wangen glühen.
» Ich habe geträumt«, sage ich. » Von einem Pferd. Es wollte mich mitnehmen. Ein riesiges weißes Pferd. Ich mußte nur noch das Gepäck einsammeln, alles lag verstreut auf dem Boden, übrigens wußte ich nicht, ob es meines war. Ich weiß nur, daß die Zeit drängte. Wohin, denkst du, sollte die Reise gehen?«
Ratlose graue Augen.
» Ins Leben oder in den Tod?«
Wieder denkt sie nach. Sie hat ein ausdrucksvolles Gesicht, aber was drückt es aus?
» Woran denkst du?«
» Ähm … ich … also, wann wir fahren!«
» Fahren? Wohin?« – Ins Leben oder in den Tod?
» Du wolltest doch den Porsche verkaufen!«
Das trifft mich unerwartet. Eigentlich will ich gar nicht mehr verkaufen. » Muß das sein?« frage ich.
» Deshalb hast du mich herbestellt.« Herbestellt.
» Weißt du, ich will dir nicht die Zeit stehlen. Den nimmt sowieso keiner. Wir blamieren uns nur.«
» Im Friesland-Anzeiger habe ich fünf Annoncen gefunden. Eine exakt für gebrauchte Sportwagen.«
» Ich danke dir. Wir merken uns das. Aber heute …«
» Ja, kein Problem«, sie steht auf. » Ich geh dann wieder.«
» Bitte, sei nicht beleidigt!«
» Warum soll ich beleidigt sein?«
» Weil ich zugesagt hatte, den Porsche zu verkaufen …«
» Nein«, sagt sie verwundert, » Du mußt mir nichts zusagen, Henry. Dein Porsche geht mich nichts an. Ich habe dir meine Hilfe angeboten, und wenn du sie nicht brauchst, um so besser.«
(Rasch) » Also, wir können ja mal hinfahren!«
Die Adresse des Gebrauchtwagenhändlers ist irgendeine Landstraße, dreißig Kilometer von hier. Eine Landpartie, warum nicht … Sidonie ist angeregt, aufgeräumt, das macht die Poesie … » Was für ein herrliches Wetter!« Nun, über uns steht der immer etwas diesige ostfriesische Himmel, aber wenigstens regnet es nicht. Der Wind drückt Muster ins Gras.
» Sobald der Wind sich legt, kommt Regen«, sage ich.
» Noch legt er sich nicht, sondern bläst.«
» Du machst dich lustig über mich.«
» Nein.«
» Doch, und mit Recht. In letzter Zeit muß ich immer an Brechts Zeilen denken:
Der Liebe pflegte ich achtlos
Und die Natur sah ich ohne Geduld.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
Graue Augen, aufmerksam.
» Genau so war ich. Früher erlebte ich meine Achtlosigkeit nicht als Versagen, sondern als Stärke. Ebenso meine Ungeduld. Wenn eine Frau neben mir vom Sonnenuntergang schwärmte, zitierte ich Heine: Mein Fräulein, seien Sie munter … Manche Dinge begreift man erst, wenn es soweit ist.«
Wenn es soweit ist. Meine Autorität zerrinnt mit jedem Kilometer. Bitte, Sidonie, rede mir ein, es sei noch nicht soweit.
Im nächsten Augenblick übersehe ich ein Vorfahrtschild – ein Lkw plötzlich links neben, fast über uns, ich trete das Gaspedal durch, wir schießen an seiner Stoßstange vorbei, er schlingert, trötet, Sidonie ist erschrocken, ich auch, immerhin, für solche Flucht ist ein potentes Auto gut, allerdings zu viel Schwung in der nächsten Kurve, Bremsen, falscher Gang, Motor kreischt, anderer Gang, Getriebe kracht, meine Güte, die Maschine ist fünfzehn Jahre alt, was für eine elende Schüttel, die schlägt man uns doch um die Ohren. Und über allem dieser gleichgültige, freundliche Himmel, und ich bringe uns fast ums Leben … Ich bin zerknirscht. » Es tut mir leid … Dieser Aufwand, umsonst. Alles deprimierend … das teure Benzin … Laß uns umkehren.«
» Ach was. Mehr als nein sagen kann er nicht. Und dann sind wir zumindest klüger!« Sidonie neben mir beugt sich über den Autoatlas, eine versierte Kartenleserin ist sie nicht, » Dort vorn geht es glaube ich links.«
Wir sehen eine rote Ferrarifahne vor einer aufgelassenen Tankstelle flattern, mitten auf dem Land. Ein Mann tritt uns entgegen. Impuls: Durchstarten, aber Sidonie hat die Tür schon geöffnet und steigt aus. Erstaunlich leichtfüßig trabt sie ihm entgegen. Blühend sieht sie aus, meine Sidonie, und redet ganz entspannt mit diesem Automann, der mit seinen Säbelkoteletten und dem virilen Grinsen
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