Dichterliebe: Roman (German Edition)
wie ein Zuhälter wirkt. Dabei mustert sie ihn allerdings schamlos, von unten nach oben, die mächtigen Schenkel unter den schwarzen Jeans, seinen Knauf, den Rumpf, die Schultern im engen roten Pulli, jetzt ruht ihr Blick freundlich auf dem Fünftagebart – das geht zu weit, eben noch philosophierte sie mit mir über die Endlichkeit, und nun – und nun – nun winkt sie, ich soll kommen, » Die Papiere!« ruft sie. Der Mann nimmt mir im Vorbeigehen den Schlüssel aus der Hand, steigt ein und dreht eine Runde. Warum nur habe ich mich überreden lassen zu dieser erzdummen Tour.
Der Kerl beschleunigt bremst wendet rangiert ein bißchen, läßt obszön den Motor aufheulen, steigt aus und bietet viertausend Mark. Ich erbitte Bedenkzeit. Wir machen uns auf den Heimweg. Mir ist völlig klar: An den verkaufe ich meinen Porsche nicht.
» Der hat mich überhaupt nicht angesehen. Der hat ja nur mit dir verhandelt. Als wäre ich nicht da!« schimpfe ich.
» Na ja, es war halt ein Mann!« Sidonie, selbstgefällig. » Das ist doch normal. Eine Frau hätte sich an dich gewandt und mich übersehen.«
» Glaub ich nicht.« Ich trete aufs Gas. Es ist, als breite sich eine Schwefelblase in meiner Brust aus. » Wie, er hat sich als Mann an dich gewandt?«
» Ich hab mit ihm geflirtet.«
Dröhnen in meinem Kopf. » Was heißt das …«
» Du weißt nicht, was das heißt?«
» Natürlich weiß ich, was flirten ist …« Ich keuche. » Aber warum ?«
» Na, um unsere Chance zu erhöhen.«
Ich spüre einen Schlag, wie ein Dolchstoß. » Wie«, frage ich entgeistert, » du hast mit ihm geschlafen ?«
O Gott, das hemmungslose, laute Sidonielachen. » Nein!« ruft sie, » Wann hätte ich das denn tun können? Du warst doch dabei!«
» Aber du hättest es gern getan? Oder hast du – vorher?«
Sie lacht und lacht.
*
Wieder ein Aufbruch im Traum, wieder Zwielicht. Ich muß Flüssigkeit in Zehnliterkanister abfüllen, und zwar nicht irgendeine Flüssigkeit, sondern Leichengift: etwas ölig, farblos. Wir tragen weiße Gummihandschuhe – man kann leicht kontaminiert werden, ein Tropfen Liquor auf die nackte Haut, und man ist hin. Aber es muß sein. Ich soll geschieden werden von Lotte, meiner ersten Frau, der Mutter meiner älteren Kinder. Das alles findet auf einem verkommenen Grundstück statt zwischen zerbrochenen Gartenmöbeln, in knietiefem Laub. Seltsamerweise steht etwas abseits eine kleine Fabrik, kaum größer als ein Schuppen. Rauch steigt aus dem Schornstein, sie ist offenbar in Betrieb, sogar das Dach scheint dicht. Lottes Werk, wird mir erklärt. Wie konnte Lotte unter den Belastungen dieser Ehe – unter mir! – Leiterin einer Fabrik werden, ohne daß ich es merkte? Ich wundere mich, bin aber auch dankbar, denn es nimmt mir einen Teil meiner Schuld. Ich habe vor vielen Jahren Lotte und die Kinder verlassen, um mit der tollen Malerin Franziska durchzubrennen, die ich später wegen der jungen Frau meines Lektors verließ. Skrupel hatte ich keine, ich war ein bekannter Dichter, Frauen warteten nach Lesungen auf mich. In der Zeit meiner kraftvollsten Liebe zu Marita begann ich eine Affäre mit Irina, der sorbischen Turnlehrerin: gefährlich, unnötig, strapaziös, doch der Gedanke, daß zwei junge Frauen mich begehren, spornte mich zu Höchstleistungen an. Ich dachte: Warum die mißmutigen Blicke meiner alternden Lotte ertragen, die klimakterischen Launen, die Vorwürfe? Was alles übrigens immer noch leichter zu ertragen war als die verzweifelten erotischen Reparaturversuche. Um die zu unterbinden, das Kleider-Abwerfen unter Hitzewallungen, das Präsentieren des verlebten Körpers, habe ich die Bitterkeit sogar noch geschürt. » Was redest du von vergeblichen Mühen? Welche Mühen denn, was hast du riskiert?« Wer wagt, kann scheitern, aber wer sich gehenläßt, nachdem er einmal geheiratet wurde, was leistet der, was leistet die? Immerhin erinnere ich mich nun – im Traum – an Lottes ohnmächtiges, wütendes Gesicht damals vor dem Scheidungsrichter und bin erleichtert, daß sie mir jetzt in diesem verwahrlosten Garten so ruhig beim Aufräumen des Giftes hilft. Außerdem freue ich mich über die Fabrik, die der Sache eine versöhnliche Wendung gibt. Lotte und ich wandern also auf unterschiedlichen Wegen, immer wieder einander begegnend, durchs Novemberlicht, zwischendurch muß sie in die Fabrik, um was zu regeln, doch jedesmal kehrt sie zurück. Ich bin nicht ganz entspannt, aber froh. Ich will Frieden machen. Ich
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