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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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für die Verkrustung der DDR . Tja, Kollege Struck war an Wendigkeit jedem Wessi ebenbürtig, er hätte Performance -Gideon heiraten können. Übrigens: Etwas in Struck strebte zum Stabreim, dagegen war er machtlos, Stabreim bei Struck war immer ein Indiz für Infamie. Jetzt ein erfreuliches Detail: Struck war ein miserabler Dichter, ahnte es und litt herzzerreißend daran. So boshaft er sich in meiner Abwesenheit über mich äußerte, so treu schickte er mir alle seine Werke mit Widmungen und freute sich an milden Antworten über die Maßen. Einmal kam ein vierseitiger Dankesbrief.
    Nach dem Erscheinen von Die Fänge der Freiheit aber las ich in einem Hallenser Blatt einen wüsten Verriß: Wie könne ein Verleger wie Kadletz, der immerhin die Autoren Hebra, Wergerich und Parler vertrete, seinen Ruf mit diesem miserablen Steiger aufs Spiel setzen, und so weiter. Der Rezensent hieß Lutz Loewe – Struck, ick seh dir strapsen. Als ich das nächste Mal in Halle war, erkundigte ich mich bei einem Redakteur, wer Lutz Loewe sei. » Na, der Struck!« Tja. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr.
    Ich wälze mich auf die andere Seite, ziehe die Decke über den Kopf, versuche, meinen Herzschlag zu dämpfen – was soll mir Struck? Werfe mich hin und her. Fürchte mich – jede Minute einer schlaflosen Nacht ist nicht nur verlorene, sondern schädliche Zeit, tags werde ich zermürbt und arbeitsunfähig sein, die Nacht herbeisehnen, nachts wieder wach liegen, weil zum Konto meiner Versäumnisse ein weiterer vergeudeter Tag hinzukam – das vernichtende Karussell der Schlafunfähigkeit, o Gott, ich werde noch einen Wodka trinken. Als ich diesen Gedanken gefaßt habe, spüre ich Lähmung … Zu müde aufzustehen. Zu müde sogar, das Licht anzuschalten – unendlich müde. Jetzt wegtreiben. Strom des Vergessens …
    Und wer hätte gedacht, daß dieser Robert sich plötzlich zur Krawallschachtel entwickelt? Haben wir denn alle keinen Stolz? Ich fahre hoch, mache Licht. Zünde mir eine Zigarette an, rauche im Bett, aufpassen, daß ich keine Asche verstreue, immer noch zittern fein, aber unkontrollierbar meine Finger.
    Übrigens habe ich beide gleichzeitig kennengelernt, Robert und Struck, vor gut zwanzig Jahren auf den Literaturtagen am Strehlower See. Ein exzentrisches Fest der Literatur war das, vierzig Autoren und Lektoren von früh bis spät in einem ländlichen Gewerkschaftshaus zusammen, Vollpension, von früh bis spät Lesungen, Diskussionen, Kämpfe, Kritik. Man hörte nicht nur, man las mit, sogar die Arbeiten unveröffentlichter Anfänger waren von den Verlagen vervielfältigt worden. Jeder, der einen Funken Talent zeigte, wurde beobachtet und gefördert, und diese Talente benahmen sich, wie wir uns benommen hatten: hochmütig, nervös, rabiat. Und so wie damals wir, auf- und abschwellend zwischen Größenwahn und Kleinheitsangst, kritisierten sie einander in Grund und Boden. Mich, den etablierten Autor, hatte man dazugeladen als Vorbild und Wetzstein für diese Jugend, die mich zu meiner Überraschung leben ließ. Struck, ein schöner Mann fast meines Alters mit dunkler Stirntolle, hellen Augen und einem mädchenhaften Lächeln, umwarb mich gar so diensteifrig und verliebt, daß ich über seine epigonalen Gedichte hinwegsah. Ich dachte: Auch die Literatur braucht neben hundert Königen ein paar Diener, warum soll man nicht nett zu denen sein. Wenige Jahre später hatte Struck sich bereits so tief vernetzt, daß ohne ihn kaum noch was ging. Mit Robert lief es umgekehrt: Er erhielt gleich Respekt, hat aber keine Karriere gemacht.
    Robert war damals Anfang Zwanzig, einer der Jüngsten, kaum Bartwuchs, still, sah niemandem in die Augen. An seine Texte habe ich wenig Erinnerung. Verkopft halt. Gebrochene Rhythmen, eine weltanschauliche Skepsis, die sich hinter naturwissenschaftlichen Thesen verbarg. Sein erster Gedichtband hieß: Diatomeen, und natürlich wußte keiner, was das ist. Diatomeen, erklärte Robert, seien einzellige Organismen mit individuell symmetrischen Kieselskeletten, keins gleiche dem anderen, dabei fänden dreitausend auf dem Nagel des kleinen Fingers Platz. Er lächelte versonnen. Die jungen Kollegen fauchten vor Wut, weil sie sich gemeint fühlten. Robert zog den Kopf zwischen die Schultern und verteidigte sich nicht. Nach dem Abendessen standen wir zufällig nebeneinander auf der Terrasse und rauchten. Er murmelte: » Auch Metzger und Henker sind Berufe, die nicht spurlos an einem vorbeigehen.

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