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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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beschließe, es ihr zu sagen. Ich gehe auf sie zu. Jäh verzerrt sich ihr Gesicht vor Haß. Sie senkt den Kopf. Ihre Stirn wird dunkelblau, aufgetrieben von blauen Wülsten, die Augen blutunterlaufen, das Kinn offen, rot zerfressen, ich wünschte, ich könnte sagen, sie wäre mir fremd – aber das Gegenteil trifft zu, auch meine malträtierte Lotte konnte einst – in Wirklichkeit – schreien und mit Töpfen werfen, und einmal hat sie ein Messer in die Reifen meines Lada gerammt, um mich am Wegfahren zu hindern. Jetzt – im Traum – ist mir sofort klar, daß sie mich umbringen will. Ohne hinzusehen weiß ich, sie hat das Messer in der Hand, ich werfe mich herum und flüchte, erklimme hastig eine Stiege, Lotte hinterher, meine Glieder wie Blei, kein Entkommen, ruckartiges Erwachen im Entsetzen. Ich liege auf dem Rücken und schnappe nach Luft.
    Der Liebe pflegte ich achtlos … Himmel, was war ich dumm. Tor! Jede Sekunde verstreut über dich … Schätze! … Habe ich jemals diese Schätze gewürdigt? Sofern ich sie nicht achtlos liegenließ, verwandelten sie sich in meiner Obhut zu Gips. Aber ich kann vielleicht noch was … retten? Denn es gibt unter tausend Gründen zu verzweifeln doch einen, es nicht zu tun, und das ist die Liebe.

II

    METAMORPHOSEN
    Anders lieben müssen wir als gestern
    Und mit schärferem Verstand.
    Und die Träume ganz beim Namen nennen;
    Und die ganze Last der Wahrheit kennen.
    Rainer Kirsch
    Ich hatte gefährliche, und ich hatte zornige Freunde. Zu den zornigen gehörte mein Lehrer Frank Zisler. Als Neunzehnjähriger hörte ich im Radio seine Gedichte und war so gepackt, daß ich nach dem ersten Fetzen Papier griff und hektisch mitschrieb. Später stellte sich heraus, ich hatte, obwohl sie rhythmisch vertrackt waren, fast alle Zeilenbrüche erfaßt. Tagelang lief ich träumend umher.
    Schon in der Schule hatte ich Gedichte neidisch und verzagt geliebt. Ich empfand sie als höhere Stufe von Sprache, eine gewissermaßen göttlich aufgeladene, die eine höhere Stufe von Leben behandelte, nicht das, was uns anderen zugewiesen war. Also mußten Dichter eine höhere Stufe von Menschen sein, keine Steiger und Maurer, sondern Fabelwesen mit Fabelnamen wie Goethe Eichendorff Morgenstern, wozu paßte, daß sie alle schon tot waren.
    Zisler in diesem Radio aber lebte. Er hatte eine nasale, etwas verrauschte Stimme, nicht imposant. Aber er sprach wie ein Erwählter: nicht um zu drohen, zu heucheln oder zu beleidigen, sondern um das Leben zu erforschen und zu würdigen. Sprache als Schlüssel zum Leben, als Auftrag, als Lust – das ging also noch! Es gab eine winzige Chance, vielleicht auch für mich. Irgendwie hatte ich es gehofft, aber ganz heimlich. Ich fühlte mich stumm. Mein erstes Gedicht hatte ich über einen Aquariumfisch geschrieben, der mit kaltem, starrem Auge die Welt vorüberschwimmen sieht. Kurz darauf stieß ich auf Rilkes Panther und begriff, daß alles schon gesagt war und daß jeder eigene Versuch nur meine Nichtigkeit besiegeln würde.
    Ich war ein gescheiterter Oberschüler, mürrisch und verkommen. Um überhaupt mit Buchstaben umgehen zu dürfen, machte ich eine Lehre als Schriftsetzer. Eines Tages brachte jemand ein Radio in die Druckerei. Und dort, hinter rußigen Scheiben, zwischen Bleilettern, Setzkästen, einer ständig quietschenden Tür und dem Geruch von Linoleum und Maschinenöl, geschah mein Zisler-Erlebnis. Mir schien, daß diese Poesie nicht erste Kategorie sei, doch genau das ermutigte mich. Erst später fand ich Erklärungen. Zislers syntaktische Krämpfe waren Ausdruck eines in Scham, Skepsis und Erlösungssucht sich marternden Bewußtseins. Der Mann glaubte an den Kommunismus, erkannte die Fehler der Mächtigen und wollte die Wahrheit sagen, das ging nicht zusammen; seine Verse verkeilten sich, und das Besondere an ihnen waren nicht die Lösungen, sondern die Lauterkeit des Kampfes. Es gab einzelne leuchtende Befreiungsschläge. Den Erkenntnisgewinn teilte am dankbarsten, wer ähnlich belastet war. Ermutigt war ich – ja, warum? Weil ich glaubte, daß für mich mehr möglich war? Weil ich mich verwandt fühlte? Weil ich in der eisern verquollenen Ästhetik die Wahrhaftigkeit spürte? Ich weiß es nicht. Mir zeigte sich Hoffnung, und ich griff zu.
    Damit begann mein eigentliches Leben: Meine Sprache erwachte wie aus einer Betäubung. Die jahrelange Bedrücktheit erklärte sich plötzlich als Trauer um diese kranke Sprache, deren Kostbarkeit ich also geahnt

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