Dichterliebe: Roman (German Edition)
der sich nach beiden Seiten gleichzeitig wirft: Beschützer scheinbar sowohl des Staates wie des Dichters, mit Ausstiegsklausel: Er hätte sich bei Gefahr unter Berufung auf diesen Wisch sofort von mir losgesagt. Und verkauft sich heute unter Berufung auf denselben Wisch als Verteidiger der Kunstfreiheit. Mit solchen Finten hat der Mann es auf die literarische Bundesebene geschafft – man möchte verzweifeln. Doch ein Informeller Mitarbeiter scheint er nicht gewesen zu sein, schade. Ich hätte ihn gern erpreßt.
*
» Und wir werden nicht vermißt unsere worte sind / gefrorene fetzen und fallen in den geringen schnee – was bedeutet das, Sidonie?« Ich will mir meine Hysterie nicht anmerken lassen – wieder ein Metamorphosen -Versuch mißglückt, zu kurz, außerdem beschämend die verschämte Ost-Scham und das zu offene Bekenntnis des Versagens, nicht mal Sidonie soll das lesen, erst recht nicht der WDR ; ganz abgesehen davon, daß Struck klagen oder seine Kumpels aktivieren würde, und dann spränge mir das Hochfeuilleton ins Genick. Also: Bringt nichts, wieder alles vergeblich, Wolfgang Hilbig drückt das besser aus als ich. Das einzig Gute daran, ich habe Sidonie gerufen und sie kam, ich sagte zu ihr: wieder eine Metamorphose mißglückt und so weiter, ich sagte aber nicht: alles vergeblich; ich redete in dem Lehrerton, der ihr zu imponieren scheint: Sprechen wir über Gedichte. Was hältst du davon? Ich spürte Erleichterung – durch die gelungenen Verse, durch die Gesellschaft: Schon als ich Sidonie über den Rasen kommen sah, atmete ich auf.
Sie sagte: » Ich hab’s aber eilig. Ich dachte, es wär was Dringendes.«
» Es ist dringend!«
Sie lauscht. Ich sehe: Auch in Eile ist sie empfänglich. » In den geringen Schnee …« wiederholt sie anerkennend.
» Was bedeutet das?«
» Vergeblichkeit!«
Die Antwort – nicht der Begriff, aber der Ton, wie aus der Pistole geschossen – trifft mich ins Mark. Wankend begegne ich dem stolzen Blick meiner Musterschülerin. Flucht nach vorn: » Warum hast du’s eilig!«, uff, klang wie ein Vorwurf, steht mir nicht zu.
» Ich habe drei Lesungen in Hessen. Bin gerade am Packen.«
» Wann kommst du wieder?«
» Donnerstag.«
» Willst du meine neuste Metamorphose lesen? Ich meine, unterwegs im Zug, falls du nichts Besseres zu tun hast …«
*
Donnerstag. Während ich auf Sidonie warte, denke ich über sie nach. Es ist gut, auf jemanden zu warten, der wiederkommt. In der Not frißt der Teufel Fliegen! verhöhne ich mich, und muß sogleich lachen: Was bin ich für ein armseliger Teufel. Und sie, indessen, was für eine bemerkenswerte Fliege. Ich stelle sie mir vor, mit ihrer kräftigen Figur, dem holprigen Gang, dem Staunen, der Unbekümmertheit, der gelegentlich aufblitzenden Schlagfertigkeit. Vor allem aber mit ihrer, ja, das muß ich inzwischen sagen: einschüchternden Sturheit. Ich prüfe den Wert dieser Sturheit. Wieviel davon ist Charakter? Wieviel Luxus, ermöglicht ganz einfach durch ungefährdeten Westaufwuchs? Bedeutsam an dieser Frage ist – die Belastbarkeit. Denn davon wird abhängen, ob ich uns zusammendenken darf, überlege ich gefährlich schwungvoll weiter.
Daß sie von Lyrik nichts weiß, werfe ich ihr nicht vor, im Gegenteil, es kommt mir zupaß. Aber was weiß sie vom Leben? Wieviel muß sie wissen, um mit mir zu Rande zu kommen? Wieviel darf sie wissen, um es zu wollen? Mir fällt ein, daß sie, zu deren Ringen um die Literatur auch ein rührendes Bemühen um hochdeutsche Aussprache gehört, ein einziges Mal einen ungehemmt schwäbischen Satz sagte. Es ging um mißglückte Liebe, um Verlassenwerden. Am Kamin räsonierte man darüber: Gabriel, Natascha, Schirmmützen-Dora, Video-Bernd, Hochstapler-Gideon, Ekel-Robert, und das Thema kam auf einen Maler, der sich umgebracht hatte, nachdem sein Liebhaber ausgezogen war. Natascha hatte es von einem Freund erfahren und meldete: » Attila Siebentisch ist bei einem Selbstmordversuch gestorben.« Für einige Minuten teilte sich das Gespräch, die Maler gedachten des in Kunst wie Liebe unerträglich eifersüchtigen Attila, die Schriftsteller amüsierten sich über die Formulierung und über den Namen: Attila Siebentisch, ein für den Ruhm erfundenes und am Ende für Wahn und Verzweiflung haftendes Pseudonym, tauglich gerade noch für eine halbe Stunde Kaminplauderei. Ich aber, bis vor kurzem in ähnlicher Lage, hörte mit gemessenem Bedauern zu und nahm dies als Anzeichen meiner Genesung.
Dann
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