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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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hast du herausgefunden? Gibt es unter Westbedingungen belastbare Muster?«
    » Was heißt belastbares Muster? Unser Henry etwa: Wie kann ein so griesgrämiger Mann so bunte Gedichte schreiben? Wie belastbar ist ein Schmetterling?«
    » Habe ich richtig verstanden: Sidonie vergleicht meine Gedichte mit Schmetterlingen?« frage ich Robert, um ihn zu ärgern.
    » Offenbar. Und du bist der Schmetterlingsgenerator.«
    *
    Am nächsten Tag fragt mich Sidonie: » Worum geht es dir?«, ganz unverblümt, als ich eben höchst mißgelaunt aus meinem Haus trete, um Wodka zu kaufen.
    Worum geht es mir? In meiner Verwirrung, Einkaufstasche in einer Hand, Portemonnaie in der anderen, halte ich einen Vortrag. Ich zitiere meinen Kollegen Wolfgang Hilbig:
    im namen welcher unerlaubten
    schmerzen
    die verwirrung
    in worte zu kleiden
    hab ich
    das schreiende amt
    übernommen
    Ich zitiere, um nicht für wehleidig zu gelten, meinen Kollegen Werner Söllner:
    Wie vorteilhaft unterscheidet sich
    Das Fleisch auf dem Feuer
    Vom verendeten Tier …
    Und, um für tapfer zu gelten, Richard Leising:
    Ziehe du ab von uns
    Deine sausende Hand, peitsche
    Deine christliche See über andere Meere
    Und lass uns leben, leben, leben, O Herr
    auf der Galeere!
    Ich erwähne, daß alle Kollegen Alkoholiker sind oder waren, nicht, um die Gedichte abzuwerten, sondern um die Alkoholiker aufzuwerten. Ich zitiere meinen Kollegen Bernd Wagner:
    Wo die Gedichte enden , beginnt die Welt.
    Die Frage ist: Wo enden die Gedichte?
    » Wo beginnen die Gedichte?« fragt sie.
    *
    Zu meinen gefährlichen Freunden gehörte der stabreimende Struck. Er leistete als Dichter wenig, war aber stets obenauf, denn er hängte sich immer an die richtigen Leute und wandte sich immer rechtzeitig von ihnen ab.
    Struck war, zunächst mal, ein schöner Mann: groß, schlank, mit strahlenden dunkelblauen Augen und vollen Lippen, die von der langen Nasenrinne aus symmetrisch ausschwangen wie Flügel. Mit seinem mädchenhaften Lächeln und dem, wie ich hörte, einst pechschwarzen gewellten Haar muß er als junger Mann wie ein Prinz ausgesehen haben. Als ich ihn kennenlernte, war er bereits silbergrau, doch weiterhin prinzenhaft. Er galt als arrogant – das wußte ich vom Hörensagen. Da er aber in meiner Nähe sanft und werbend auftrat, störte es mich nicht, im Gegenteil, es steigerte meine Selbstachtung. Sein literarisches Urteil war opportunistisch; er variierte geschickt die Meinung der Einflußreichen. So machte er als Funktionär Karriere: einer jener unerlösten Literaten ohne Œ uvre, die mit rachsüchtiger Willkür das Renommee der Künstler regulieren.
    Ich ehrte ihn nicht; das halte ich mir zugute. Wir begegneten einander in meinen Sonnenjahren, und Struck fraß mir aus der Hand. Er war umgänglich, er knüpfte zielsicher Verbindungen, er war hilfsbereit. Ich nahm immer an, daß er Kontakte zur Staatssicherheit hatte; jemand mit so starkem Ehrgeiz und so schwacher Substanz mußte die haben. Ich sah darüber hinweg, solange er mir nützte. Zum Beispiel war er in der Jury des Heinrich-Mann-Preises. Als ich ihm für den Preis dankte, wehrte er lächelnd ab: » Allein hätte ich das nicht geschafft.« Ich wußte aber, daß er durchaus Kandidaten zu Fall bringen konnte, und das nicht nur aus literarischen Gründen. Einmal zum Beispiel erregte er sich über die Lyrikerin Annette Broda, weil die einst einen dreißig Jahre älteren Parteisekretär geheiratet hatte. Sie war längst wieder geschieden, doch Struck warf ihr in unbegreiflichem Furor Karrierismus vor, während ich ihn neckte, er sei bloß sauer, daß er selbst nicht die Annette bekommen habe. Das war in Auerbachs Keller, er trank Goldbrand, ich ein paar blaue Würger, und ich weiß nicht mehr, wie das Gespräch endete, doch es fiel sein Satz: » Die Broda, die lassen wir verhungern!«
    In den siebziger Jahren verschaffte er mir eine Romreise. Diese Reise unternahmen wir gemeinsam: Struck organisierte einen Forschungsauftrag unter meiner Federführung. Nach Rom! In die Ewige Stadt, ich, der Kleinbürgersohn aus dem düsteren Aue! Schon Wochen vorher kannte ich den Reiseführer auswendig, wanderte im Geist über den GIANICOLO , am VATIKAN entlang und über die ENGELSBRÜCKE , besuchte sämtliche PAPSTKIRCHEN , saß auf der TIBERINSEL im Kies, schritt ehrfürchtig durch die halb verschütteten Grotten der wahnsinnigen DOMUS AUREA . Als am Abflugtag der Flughafen Schönefeld wegen Nebels geschlossen wurde, war ich den Tränen nahe.

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