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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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Struck rettete wieder mal die Lage und ergatterte Zugbillets. Zwanzig Stunden später standen wir auf der PIAZZA DI CAMPIDOGLIO .
    Unser offizieller Auftrag war, Handschriften von Tibor Geibel aufzutreiben. Wir fanden dann nichts, was nicht schon gedruckt in der Deutschen Bücherei vorlag, doch das störte uns nicht, im Gegenteil, die freien Stunden vollendeten unser Fest. Während Halle in gelbem Rauch erstickte, strahlte hier die Sonne von azurnem Himmel, flitzten Schwalben umher, pflückten wir Orangen von den Bäumen. Unsere Devisen waren so knapp, daß wir auf Wein verzichteten und alle Wege zu Fuß machten, um uns die Museen leisten zu können. In zehn Tagen lief ich ein Paar Westschuhe bis zur Brandsohle durch. Ich knipste Hunderte Fotos mit meiner Praktika und schrieb nachts dreißig Gedichte. Übrigens bemerkte ich, daß es in Rom weitaus ärmere Leute gab als uns. Einmal aßen wir in einem Gartenlokal pappige Toasts, da glitt ein schlanker Arm durch die Hecke, und mein Teller war leer. Struck, der gerade sächselnd Verse von Shelley vorlas, hatte es nicht mal bemerkt.
    Nach der Reise begann unser Zerwürfnis. In meinem Rombuch Die Katzen des Palatin hatte ich nämlich Struck nicht erwähnt. Er fand das undankbar: » Ich habe diese Reise für dich durchgesetzt! Nur wegen dir bin ich mitgefahren!«
    » Unsinn«, sagte ich. » Du bist nicht wegen mir nach Rom gefahren. Du lechztest nach Rom! Ohne mich hättest du die Reise nie durchgesetzt.«
    » Ich hätte sie für jemand anderen durchgesetzt!«
    » Aber hätte der dich mitgenommen?«
    » Ja!« stieß er hervor, und ich spürte zum ersten Mal am eigenen Leib jene andere Struckseite, von der ich bisher nur gehört hatte, daß sie zu fürchten sei.
    Ich lenkte ein: » Aber du kommst im Buch doch vor!«
    » Auf einem unscharfen Schwarzweißfoto, aus einer Eisdiele tretend«, sagte er bitter.
    » Ich habe immer wir geschrieben. Da warst du inbegriffen! Oder dachtest du, ich rede im Plural Majestatis?«
    » Inbegriffen!« fauchte er.
    Der Riß war nicht zu kitten, obwohl wir uns später schämten und versuchten, zur Tagesordnung überzugehen. Wir waren ja immer noch aufeinander angewiesen, er brauchte meine Reputation, ich seine Verbindungen. Damals hielt ich ihn für kleinlich. Inzwischen gebe ich zu, daß ich ihn aus Bosheit nicht genannt habe. Ich wollte ihn auf seinen Platz stellen, den des Statisten. Ich glaubte, mir das leisten zu können.
    Inzwischen haben wir die Positionen getauscht. Der Apparatschik Struck geriet zwar nach der Wende kurz in Schwierigkeiten, rettete sich aber wundersam, indem er eine Westberliner Modeärztin heiratete. Die Frau war toll, eine hocherotische Gynäkologin. Jeder von uns hätte die genommen, aber er bekam sie, eben auch mit zweiundfünfzig noch ein schöner, charmanter Mann. Er hatte sogar als DDR -Bürger vornehm gewirkt, in schmierigen Schlaghosen und Chemiefaserhemden mit Schweißflecken unter den Achseln. Unter den Händen der Gynäkologin aber wurde er richtig edel: trug weiße Jeans, Kaschmirpullover und Seidenblousons, duftete nach Rasierwasser; inzwischen ein ausgebleichter alter Prinz, aber immer noch ein Prinz, und weiterhin gefährlich.
    Seine literarischen Befunde paßte er sofort den neuen Spruchregelungen an. Hatte er zu DDR -Zeiten Hugo von Hofmannsthal als Epigonen gescholten, nannte er ihn nun den beseelten Erben der Klassik. Christa Wolf, seine Lieblings-Nobelpreiskandidatin, entlarvte er als Spießerin. So fand er mühelos den Weg in die neue Szene. Schon sitzt er wieder in fünf Juries und rührt für mich keinen Finger.
    Dummerweise taucht er nicht als Informant in meiner Stasiakte auf. Es gibt dort ein Außengutachten, das mit seinem Klarnamen unterzeichnet ist – doch ohne Adressat, leider, jeder kann es in Auftrag gegeben haben. Auch dort variierte Struck über den Dichter H. St. das, was damals eben so gesagt wurde: kunstvolle Alltagssprache, allerdings unverbindliche Anwendung der lyrischen Formen mit diesem flatternden Versmaß, das die Satzenden gewissermaßen willkürlich vom Zeilenbruch abtropfen läßt. Bemerkenswert ist folgende Ergänzung: » St. ist klagsam, skeptisch, zu Pessimismus neigend. Doch würde ich eine negativ feindliche Einstellung des St. gegen die DDR nicht für ursächlich halten wollen. Der Mißmut entspringt eher einem Nichtbegreifen der sozialistischen Entwicklung, das seiner ausgeprägten Ichbezogenheit und seiner cholerischen Psyche geschuldet ist.« Ein echter Struck,

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