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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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ungeliebten Schwiegertochter ab, vergießt Ströme von Tränen über seinem Scheitel, schultert ihr Bündel und entschwindet auf geschwollenen Füßen im Nebel, so wie sie aufgetaucht war.
    *
    Ich habe es nur quergelesen. Erwachsene Schriftsteller verachteten das Buch. Ich erinnere mich an eine Kneipenrunde in Berlin, Jakob zum ersten Mal an einem Tisch mit mehreren arrivierten Literaten, naiv und verschämt. Meine Kollegen aus dem Johannes R. Becher-Institut hatten schon allerlei publiziert und übertönten die Zweifel an der eigenen Bedeutung mit ironischen Klassiker-Diskussionen – Was bleibt von wem? Fast alle waren die üblichen moralischen Kompromisse eingegangen, mit den üblichen künstlerischen Verlusten. Der sarkastische Weinreich mit den starren hellblauen Augen hinter spiegelnden Brillengläsern hatte sich in einen windelweichen Radioredakteur verwandelt, der elegante Elkin mit dem sonor-skrupulösen Ton und den zartbitteren Stirnfalten in einen Akademiker von bemerkenswerter intellektueller Schlüpfrigkeit. Nur ich hatte meine Studentenrolle beibehalten: das rüpelige Originalgenie. Ich sage: Rolle, weil ich schon damals zu ahnen begann, daß auch ich Erwartungen erfüllte. Mein unpolitischer Mißmut wurde vom Publikum als Protest gelesen. Vielleicht beruhte mein Erfolg sogar darauf, daß ich Feiglingen Erleichterung verschaffte – am Ende noch mit Billigung des Regimes, das wußte, wie wichtig für den verordneten Optimismus das Ventil des Selbstmitleids war. Jedenfalls haben die Feiglinge, denen ich vor der Wende Erleichterung verschaffte, mich nach der Wende nicht mehr gebraucht. Ein Westpolitiker sagte so jovial wie verständnislos zu mir: » Jetzt leben Sie in Frieden und Freiheit, können Sie da nicht etwas fröhlicher dichten?«
    Jakob traf ich zu Beginn meiner großen Jahre. Ich war selbstbewußt, Preisträger, Familienvater, stolz auf mein Ausdrucksvermögen. Paradoxes Glück: Als Dichter der Melancholie fühlte ich mich wohl, als Verzweifelter unabhängig. Privat hielt ich mit meiner Kritik am Regime nicht hinterm Berg. Leute wie Weinreich und Elkin, die als Studenten ähnlich geredet hatten, lächelten inzwischen geniert oder besorgt, je nachdem, wer mit am Tisch saß. Mir war’s gleich, ich schimpfte und beobachtete dabei ihr Mienenspiel: den raschen Wechsel von Genugtuung und Erschrecken, Mitleid und Schadenfreude, Dankbarkeit und Heuchelei. Nur Jakob schien über meine Reden aufrichtig empört. Er war nicht nur wie wir alle Parteigenosse, sondern sogar Parteisekretär, er wollte die DDR verbessern durch Anstand und behutsame Kritik. Ich gab zu bedenken, daß Regierungen, die sich der Kontrolle der Untertanen entzögen, nicht therapierbar seien. Weinreich und Elkin verabschiedeten sich hüstelnd.
    *
    Jakob arbeitete als Geodät in der Stadt Zittau. Von Zittau, das über einem Braunkohleflöz liegt, hieß es, wer im Garten einen Baum pflanze, könne mit der gehobenen Erde seinen Kachelofen heizen. Inzwischen war die Stadt marode, von Tagebau eingeschlossen, eine traurige Insel in brauner Mondlandschaft. Jakob vermaß die Fördergebiete.
    Einmal besuchte ich ihn dort. Die Honorare machten ihn unabhängig, aber er nutzte es nicht. Er lebte mit einer unwirschen älteren Frau im zugigen Kontor einer ehemaligen Tuchfabrik und wirkte tapsig und kleinmütig. Er schrieb nichts. Das triumphale Gebirge im Buch war anscheinend nie Wirklichkeit für ihn gewesen. Wogegen nichts einzuwenden wäre, wenn diese Phantasie ihn denn befreit hätte. Aber sie hatte ihn im Gegenteil zum Gefangenen gemacht.
    » Wie, es gab gar keine böhmische Großmutter?«
    » Doch, aber … in einer Gegend, die gespickt war mit verlassenen Dörfern, Uranminen und Straflagern … Darüber konnte ich doch nicht schreiben! Unser Haus grenzte ans Sperrgebiet …«
    » Ändert das die Geschichte?«
    » Nein – ja …«, sagte er gequält. » Sie war sehr komplex. Versteh doch – ich mußte mit der Zensur verhandeln – Kompromisse. So viele Kompromisse, daß ich selbst nicht mehr weiß …«
    » Vielleicht bringst du’s heraus? Warum fährst du nicht hin? Soll ich dich begleiten?« Böhmen interessierte mich, weil mein Vater als junger Mann dort zwei Jahre verbracht hatte. Jakob sprach Tschechisch und besaß ein Auto.
    » Ernestine mag nicht, wenn ich wegfahre«, murmelte er.
    » Lieber, wenn du in der gammeligen Oberlausitz festsitzt, bist du als Schriftsteller am Ende.«
    » Ich bin sowieso am Ende. Ich hatte nie wirklich

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