Dichterliebe: Roman (German Edition)
kam man beim Thema Liebe wieder zusammen: Wieviel von dem, was sich als Liebe ausgibt, verdient den Namen? Ist Eifersucht nicht einfach Besitzgier? Robert zitierte sinngemäß Kurt Vonnegut: Wenn man bedenkt, was Leute einander aus Liebe antun, möchte man ihnen empfehlen, es doch mal mit Höflichkeit zu versuchen. Es gab die erwartbaren Reaktionen: Dora entzückt, Bernd empört, Gabriel zu Zoten animiert, nur Sidonie schwieg wie betäubt, sie schien in einem Strudel von Empfindungen zu versinken, aus dem erst ich sie mit einer Frage herauszog. » Und du? Kannst du verstehen, daß ein Verlassener sich umbringt?«
» Ha jo«, sagte sie errötend, » des isch a Vernichtungsschmerz!«
*
Während ich um die Metamorphosen ringe, wächst eine Hoffnung in mir, die ich vorsichtshalber für unbegründet halten möchte. Das heißt, ich heiße sie willkommen und weise sie zurück. Ich balanciere zwischen Zuversicht und Verderben; wenn ich die Sache in der Schwebe halten kann, ist das günstig für mich. Es kommen sogar wieder Gedichte. Nur hingeben darf ich mich nicht: In einem verdächtig hellen Augenblick unterbreche ich sogar die gelingende Arbeit und wandere zur Postbox, vorsätzlich, um die nächste Hiobsbotschaft in Empfang zu nehmen. Doch siehe da: Es gibt keine. Statt dessen eine Anfrage für eine Lesung in Sachsen. Und ein Fax von Jakob Jehlitschka: Lieber Henry, in der Hoffnung, daß Dich diese Nachricht erreicht: Ich bin gerade in Hamburg und würde Dich gern besuchen. Ich wollte immer schon mal nach Ostfriesland.
Jakob Jehlitschka!, denke ich, na klar, das wird mein Metamorphosen -Held! Wie schön sich manchmal alles fügt. Einverstanden, faxe ich.
*
Dritter Metamorphosen -Versuch, den ganzen Tag. Abends auf der Suche nach Geselligkeit an den Kamin. Gutgelaunt, denn morgen kommt Jakob. Und übermorgen Sidonie.
Am Kamin sitzt, zusammen mit Robert, Dora und Gabriel, eine Blondine um die Vierzig. Dauerwellen-Mopp, Wimperntusche, Lippenstift, Lederstiefel, quasselt ungehemmt im Anhaltiner Dialekt. Ganz offensichtlich keine Künstlerin. Gabriel stellt uns einander vor. » Gestatten, die Herrschaften: Anita Priller, Jungunternehmerin, möchte auf dem Domberg zu Quedlinburg ein Künstlerhaus nach Staverfehner Vorbild aufziehen und holt sich bei mir Rat. – Valentin Steiger, unser Ehrenstipendiat seit …« Sie unterbricht: » No, Henry Steiger, den werd ich ja wohl kennen!«
Wir fragen sie aus. Sie habe, erzählt sie, früher in einer Hausverwaltung gearbeitet, die nach der Wende abgewickelt wurde. In der neuen Zeit Kurse in Rhetorik und Marketing belegt. Die Immobilien in Quedlinburg kenne sie aus ihrer Verwalterinnenzeit, Gebäude gäbe es ja reichlich, sogar in Filetlage, doch ungenügende Nutzungsideen … Jetzt habe sie ein Existenzgründungsdarlehen beantragt. Mir graust: vor der Sprache, vor der Forschheit, hinter der ich Panik spüre … Flucht nach vorne, nichts im Kreuz, nicht mal einen abgestandenen Namen, der für kleine Rundfunkaufträge gut ist.
» Aber … was interessiert Sie an der Kunst?«
» Das Geld!«
» Wie?« rufen wir gleichzeitig.
» Ja! Ich will das Haus auf kommerzieller Grundlage betreiben!«
» Das wird nie was«, bescheidet Robert knapp.
» Mit Schriftstellern wird es sicher nichts. Aber mit Bildenden Künstlern schon. Die sind einfacher.«
» Stimmt«, sagt Dora. » Denen muß man nur n Stück Holz hinwerfen, dann sind sie beschäftigt.«
» Eben! Wenn die bei uns ab und zu was anderes tun als onanieren, kommt ja auch was raus«, ruft die Unternehmerin.
Für einen Augenblick Stille.
Dann gluckst Gabriel: » Bei uns kommt immer was raus, Gnädigste.«
» Verwertbare Produkte!« jubiliert sie.
Dora und Robert stehen auf und gehen. Die Existenzgründerin steckt es weg, ihre Bäckchen glühen, sie scheint schon den einen oder anderen Klaren gekippt zu haben, sicher mit Gabriel. Der ist beschwingter als üblich, ich muß staunen. » Hurra, Gnädigste!« ruft er. » Zweifler werden niedergeritten! Kampflesben weggeräumt! Und die Empfindsamen können sich ihren Stolz ans Knie nageln!«
Hochanimiert! Brennt sein Feuerwerk ab, improvisiert Rezitative, singt Wagner: der Mann dann fange die Maid , der am Wege sie findet und weckt (natürlich die Kalauervariante: wendet und fickt ), und die Existenzgründerin quietscht vor Vergnügen, ihr Rock rutscht hoch, sie ist zu allem bereit, aus Verzweiflung, denke ich, doch da sie nicht nur Gabriel, sondern auch mich ungehemmt anschäkert,
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