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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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Talent.«
    » Unsinn«, sagte ich ohne Überzeugung.
    » Ach … meinst du wirklich?«
    *
    Meine Lüge setzte eine Entwicklung in Gang, die ich nie für möglich gehalten hätte. Zunächst mal erschütterte sie den Zittauer Hausfrieden, denn die Lebenskameradin wollte Jakob nicht ziehen lassen; er knirgelte, sie schimpfte, er begehrte auf, und plötzlich war die Trennung da – Jakob sagte später, daß ich seine Raupenzeit beendet hätte.
    Wir starteten in seinem F8, einem Zweitakter, dessen Holzkarosse von einem Pilz befallen war, zur großen Böhmenreise. Zunächst gefiel mir die Route, doch bald ärgerte mich Jakobs Systematik. Er hatte Listen mit Sehenswürdigkeiten erstellt und verließ keinen Ort, solange nicht jeder Punkt abgearbeitet war. Unser erklärtes Ziel, das böhmische Erzgebirge, schien er sogar zu meiden, lieber vergeudete er Stunden, um im unaussprechlichen Ort F. das Geburtshaus des unbedeutenden Schriftstellers K. zu finden, dessen Werke er im ächzenden F8 mitführte, nur um sie vor der häßlichen Garage zitieren zu können, die jetzt auf dem Platz der abgebrannten Kate stand. An dieser Stelle gerieten wir in einen Streit, den Jakob verlor. Als wir Richtung Erzgebirge fuhren, rief er fast lustvoll: » Du hast recht! Du hast recht! Unglaublich, was man mitmacht. Warum erdulden wir Sklaverei?«
    Wir knatterten an Most vorbei, zehn, zwanzig, dreißig Kilometer Tagebau, qualmende Schlote, Dunst, eine stinkende Wüstenei. Hinter Chomutov im Ohretal bog Jakob nach rechts ab und fuhr durch immer dichteren Nebel bergauf, bis ein Gewitter den F8 von der Straße spülte.
    Es gab keinen Schlag und keinen Sturz, wir merkten einfach, wie wir rutschten. Rausspringen? Was wäre schlimmer, naß in die dunkle Wildnis oder trocken in den Abgrund? Dann kam der Wagen zum Stehen, leicht schräg in einem, wahrscheinlich, Graben. Über und um uns dröhnender Regen wie ein Wasserfall.
    Ich war so beeindruckt, daß ich nicht schimpfte. Auch von Jakob, dessen Sorge um die Karre Dauerthema war, kein Schrei, kein Gejammer, kein Fluch. Er drehte am Zündschlüssel, der Motor erstarb. Wir saßen fest. Wir schwiegen, weil wir im Lärm ohnehin nichts verstanden hätten. Hinter den beschlagenen Fenstern wurde es grau, dann dunkelblau. Wir würden die Nacht hier verbringen müssen. Ich stopfte den Mantel zwischen meine Schulter und die kalte Scheibe. Jakob aber, der zwanghafte Planer, geriet in eine seltsame Euphorie. Er lachte und redete vor sich hin, » unglaublich!« und: » Allerhand!«
    » Manchmal hat man Glück!«, sagte er, als der Regen nachließ. » Ernestine hat sich in einen polnischen Fassadenkletterer verliebt, der die Mauern unserer Bude reparierte. Vielleicht hoffte sie, ich würde um sie kämpfen. Aber ich hatte nur einen Gedanken: möglichst schnell umziehen, damit ich sie nicht aufnehmen muß, wenn sie zurückkehrt.«
    » Wie hast du das ausgehalten?«
    » Ich habe mich immer gefügt. Entkam ich einer Bedrückung, geriet ich in die nächste. Es war ein Weg von Lüge zu Lüge. Die einzige, die mich nie verraten hat, war Omi.« Er schluckte. » Statt dessen habe ich sie – aber das –«
    Es wurde eine Nacht der Beichte. Wir saßen eingezwängt in dem engen Wagen, ohne einander anzusehen. Der linkische Jakob, der immer an allem das Beste sah, offenbarte sich als fragiler Held unendlicher Gewissensdramen.
    Der Anfang war mir bekannt: Vati verschwunden, Mutti im Knast – Jakob nannte sie wirklich so, wie um eine Vertrautheit zu beschwören, die es nie gegeben hatte. Mutti konnte mit ihm nichts anfangen, seitdem suchte er Anschluß um jeden Preis. Daß ein Preis zu zahlen war, begriff er rasch: Wer was gibt, will was dafür haben. Er gab Gehorsam. Er wurde enttäuscht. Jede Enttäuschung verstärkte den Gehorsam. Sein Musiklehrer, ein verehrungswürdiger alter Mann, der noch die Kaiserzeit erlebt hatte, gab dem halbwüchsigen Jakob den Auftrag, beim Schulfest auf dem Akkordeon zu improvisieren. Jakob, stolz auf das Vertrauen, baute zu Ehren seines Förderers die Melodie von Deutschland über alles ins Präludium ein, unauffällig, aber doch so, daß der es merken mußte. Plötzlich sah er: Der alte Herr starb vor Angst. » Tu so was nie wieder«, flüsterte der Alte später. Und dann etwas Überraschendes: » Sei klug wie die Schlange und ohne Falsch wie die Taube …« Was dachte Jakob? Er dachte: Feigling. Was tat er? Behandelte ihn noch ehrender als zuvor, damit der sich nicht schämen mußte. Schämte sich

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