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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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» Parteistrafen«, und natürlich: » Verrat«, » im Buch!« Wo sonst, dachte ich, wir leben doch davon, daß wir um unserer Bedürfnisse willen unsere Wahrnehmung verraten, und je besser Autoren Bedürfnisse als Wahrnehmung ausgeben können, desto dankbarer ist das Publikum … Aber ich sah Jakobs zuckenden Hinterkopf und widersprach nicht, schließlich, er schämte sich, Scham ist heilig, und soviel habe ich dann doch verstanden: Omi war in einem Altersheim in Chomutov verhungert.
    *
    Nach dieser Reise begann Jakob zu kämpfen. Er wurde wieder Schriftsteller und vertraute immer unbedenklicher seinem Verstand. Die Lektoren fürchteten bald seine Kampfeslust. Zwanzig Jahre nach dem ersten schrieb er ein zweites Großmutterbuch, das dissonant und radikal war, ohne den Schmelz des ersten, doch lebendig durch Mut. Es erhielt keine Druckgenehmigung. Das Thema sei gültig bearbeitet, lautete die Begründung. Jakob selbst nahm an, daß für unsere Zeit des Stillstands die Oma zu aufmüpfig war. Tatsächlich hatte er ihr etliche regimekritische Sprüche in den Mund gelegt. Er ließ sie Brecht zitieren: Am Grunde der Moldau wandern die Steine / Es liegen drei Kaiser begraben in Prag. / Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine. / Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.
    Zu mir sagte er: » Ich bekomme jedesmal Gänsehaut, wenn ich das zitiere.«
    » Am Grunde der Moldau wandert kein Stein, jedenfalls nicht in Prag. Und es kommt zwar der Tag, doch nach weiteren zwölf Stunden auch wieder die Nacht.«
    » Seltsam. Und ich habe immer noch ne Gänsehaut. Die riesigen Pläne der Mächtigen … Und gehn sie einher auch wie blutige Hähne …«
    Jakob wurde gezüchtigt, gab nach und schämte sich, schrieb ironische Briefe mit krachenden Sätzen – es entwickelte sich das übliche Drama des Moralisten, und es machte ihn unleidlich. Als ich das letzte Mal bei ihm zu Gast war, drehte er um zwölf Uhr mittags plötzlich das Radio auf. Die RIAS -Freiheitsglocke dröhnte durch das spartanische Junggesellenzimmer.
    » Bist du verrückt«, fuhr ich ihn an, » bei offenem Fenster!«
    » Wieso? Wer kennt die schon in Zittau!« höhnte er.
    » Hör auf«, sagte ich, » das ist kindisch.«
    » Keineswegs. Das ist erwachsen. Du hast immer geredet wie ein Antikommunist …«
    » Ja. Aber ich kann die DDR nicht ändern. Ich kann nicht mal mich selbst ändern.«
    » Henry, die Leute halten dein Gejammer für Integrität. Gerade deshalb hätte dein Wort Gewicht. Denk doch zur Abwechslung mal nicht nur an dich!«
    Ich hätte beleidigt sein können, doch ich mußte lachen. Letztlich waren wir arme, vergängliche Tiere. Jakob, der als Tier zu kurz Gekommene, nutzte die brachliegenden Leidenschaften, um seine unbedeutende Geschichte zur Freiheitsparabel aufzublasen. Wir verloren einander aus den Augen, wie man so sagt.
    *
    Erst nach der Wende traf ich ihn wieder. Er lebte inzwischen am Prenzlauer Berg, und da mein erster Weg nach der Trennung von Marita mich nach Berlin führte, ließ ich mir von einem Freund Jakobs Telefonnummer geben. Er lud mich sofort ein.
    Schöner war er nicht geworden: immer noch gehemmt und wunderlich, immer noch Quellaugen. Dennoch wirkte er verändert, seltsam dankbar und froh. Zu froh für einen närrischen Idealisten. Hatte die Wende seine Sehnsüchte etwa erfüllt?
    » Ja! Ich bin frei! Es ist mir nie so gut gegangen wie jetzt!«
    Er war verliebt. Er saß mir in dieser winzigen Küche gegenüber, ein fünfzigjähriger Mann, der das dünne Haupthaar von links nach rechts über den Schädel kämmte und wie ein erschöpfter Krieger wirkte, weil er das ganze Wochenende damit verbracht hatte, seiner Angebeteten die Praxis fertig zu zimmern.
    Praxis?
    » Sie ist Medizinerin!« sagte er stolz.
    » Und ausgerechnet jetzt eröffnet sie eine Praxis?«
    » Wann, wenn nicht jetzt? Ihre Klinik wird abgewickelt … Der richtige Impuls zur richtigen Zeit!«
    Er hatte gehämmert und gesägt bis zum Umfallen, obwohl er handwerklich ungeschickt war. Stolz zeigte er mir die Schrammen an den Händen und das blutgetränkte Pflaster. » Sonntag haben wir die Nacht durchgearbeitet … Birgit war dann fast froh, daß am Montag kein Patient kam.«
    Inzwischen war aber Mittwoch, und noch immer war kein Patient gekommen. Jakob machte sich Sorgen. » Das kapitalistische Leben birgt Gefahren«, bemerkte ich. Er wurde blaß und lief ins Nebenzimmer, ich hörte ihn eine Nummer wählen und – offenbar mußte er nicht

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