Dichterliebe: Roman (German Edition)
Sozialismus.«
» Tut mir leid, das ist nicht mehr mein Thema.«
» Das sollte aber dein Thema sein.«
O weh, dafür habe ich ihn nicht eingeladen. Was stelle ich zwei Tage mit diesem Zwängler an? Ich spähe herum, ob sich nicht irgendwo zwischen den Bäumen oder auf dem Rückweg vom Edeka ein Kollege zeigt. Sidonie! Irene! Meinetwegen auch Robert. Am besten alle zusammen. Ich würde mit den Frauen spazierengehen, und Robert und Jakob könnten einander zerfleischen.
» Du bist unleidlich«, stellt er fest.
» Ja.« Klingt krächzend. Mein Mund ist trocken.
» Vielleicht sollten wir was essen?«
Ich hole Brot und Aufschnitt. Während Jakob ißt, öffne ich die erste Flasche Wein. Mein Ärger läßt nach, und ich beginne mich schuldig zu fühlen. Der geduldige Jakob. Essay. Rundfunk zahlt gut.
» Ich hörte, du seist Mitglied einer westdeutschen Akademie geworden – gratuliere«, sage ich schließlich, um ihm eine Freude zu machen.
» Vor drei Jahren. Du bist es gleich nach der Wende geworden. Wir sind dort Kollegen.«
» Ich war noch nie da. Die können mir auch nicht helfen.«
» Vielleicht kannst du denen helfen. Wer von der Demokratie profitieren will, muß sie verteidigen.«
» Was hat das mit Demokratie zu tun?«
» Auch im Westen erobern Apparatschiks die Schlüsselpositionen. Auch in der Akademie. Und auch dort mißbrauchen sie ihre Macht.«
» Bist du etwa vom Westen enttäuscht?« spotte ich.
» Ich bin nicht enttäuscht, ich bin entsetzt. Der Westen war gut, solange er mit uns konkurrierte. Kaum sind wir weg, entartet er.«
» Nicht übertreiben. Hier geht’s ja um nichts.«
» Das ist das Erschreckende. Ohne Not werden unsere tollsten Errungenschaften preisgegeben. Die Freiheit der Künstler. Die Würde der Kunst. Der zivile Anstand.«
» Du übertreibst.«
» Hast du die Akademiepost nicht gelesen?«
» Nein.«
» Na, was sagst du zu dem: Unser Präsidium kam plötzlich auf die Idee, Dichterlesungen zu verbieten. An einer Akademie! Sie sind gar nicht befugt, etwas zu verbieten oder zu befehlen, es war dreister Funktionärsschabernack. Sie schrieben in ein Protokoll den Satz Buchvorstellungen macht die Akademie nicht und benahmen sich, als sei das ab sofort Gesetz. Der Auftrag der Akademie ist, die Entwicklung der Literatur zu fördern, doch wie können wir das, wenn wir keine Bücher vorstellen dürfen? Ich fragte also die Funktionäre, was sie sich dabei gedacht hätten, und sie gaben selbstherrliche und zynische Erklärungen. Ich zitierte die in einem Memorandum, um die Klasse wachzurütteln. Verblüffende Reaktion: Die Apparatschiks erklärten die Zitate für gefälscht! Das, was sie selbst geschrieben hatten! Sie logen wie ertappte Schulbuben, allerdings mit der Wucht ihres Amtes. Der Direktor beschimpfte mich, der Präsident verschickte manische Briefe – in fünfzig Jahren DDR habe ich keine so unflätigen Briefe gelesen wie von diesen West-Apparatschiks. Diese Regel habe es nie gegeben, das sei eine Erfindung dieses Jehlitschka, das Memorandum ein Machwerk, das von falschen – gefälschten – Zitaten, aberwitzigen Unterstellungen, wahnhaften Verschwörungsideen und übler Nachrede strotzt, welche sich hart an der Grenze des Justitiablen bewegt … In dem Satz verrät er sich, nebenbei gesagt: Hätte ich wirklich Zitate gefälscht, wäre das nicht hart an der Grenze des Justitiablen, sondern justitiabel. Die Grenze zur Verleumdung überschritten hat er selbst.«
» Was hast du erwartet?«
» Das jedenfalls nicht. Unser Plenum findet nichts dabei, daß ihr Präsident Straftaten begeht! Ein Karnickelzüchterverein würde seinen Vorsitzenden bei weit geringeren Vergehen davonjagen, doch der Präsident einer Akademie darf sich aufführen wie ein Affe. Eine solche Vulgarität hat es bei uns nicht gegeben.«
» Bei uns hätte der Präsident dafür gesorgt, daß du in die Produktion geschickt wirst.«
» Machtsucht ist Flucht vor der Scham. Unkontrolliert führt sie zu Schamlosigkeit. Auch die BRD wird verwahrlosen, wenn die Elite sich nicht kontrolliert. Was taugt ein Kollektiv, das nicht mal einen machtkranken Emeritus zu bändigen wagt?«
Diese ganze Rede auf Sächsisch. » Gollegdief?« lache ich.
» Eine Demokratie, die nur funktioniert, wenn die oben freiwillig mitmachen, ist keine!«
» Hör auf, du Spinner.«
» Da waren wir im Osten mutiger«, grollt er. » Wir haben wenigstens gestöhnt.«
» Wir wurden offener drangsaliert, deswegen haben wir lauter gestöhnt.
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