Dichterliebe: Roman (German Edition)
Im Westen betet man den Erfolg an, im Osten den Protest. Bei uns gehörte es zum guten Ton, als Intellektueller ein bißchen zu löcken. Doch wenn der Hammer geschwungen wurde, waren auch dort alle weg.«
» Nicht alle! Einige sind ausgewandert, andere haben widerstanden. Auch du, du warst doch mutig!«
» Ich war Alkoholiker.«
» Du bist es immer noch«, sagt er fast werbend.
» Vergiß es. Ich bin besiegt. Das hier ist nicht meine Veranstaltung.«
*
Zwischen den Bäumen breitet sich Schatten aus, aber der Himmel ist hell, die Luft warm, ein großzügiger Sommertag geht zur Neige, und mein Jakob, der gefürchtete Radikaltourist, sitzt immer noch auf der Terrasse und hat keinen Meter von Ostfriesland gesehen. Morgen will er loslegen, erklärt er, während unser Nachmittagsimbiß in den Abendimbiß übergeht. Ich bedaure, daß Sidonie sich nicht zeigt. Aber sie könnte sich noch zeigen, deshalb bin nicht schlecht gestimmt. An Jakob habe ich mich wieder gewöhnt. Er vertreibt mir die Zeit.
» Ich bin froh, dich in so relativ guter Verfassung zu sehen«, bemerkt er jetzt. » So schlecht, wie du behauptest, steht es nicht um dich.«
» Ich bin verliebt!« Stimmt das? Die idiotische Freude, es auszusprechen. Als trommelte mein Herz.
» Oha! Eine Kollegin?«
» Ja, hier im Haus.«
» Erwidert sie’s?«
» Sie weiß es nicht.«
» Hm – laß mich raten … zwanzig Jahre jünger …«
» … könnte hinkommen …«
» Ost oder West?«
» West.«
» Und da rechnest du dir Chancen aus?«
» Sie liebt die Poesie!«
» Klingt lüstern.«
» Ist auch so gemeint.«
» Was erwartest du dir?«
» Liebe! Ich entbehre sie. Niemand weckt mich. Niemand pflegt mich. Niemand macht mir Frühstück. Niemand sagt mir, welche Kleider ich anziehen soll.«
» Lotte liebt dich noch immer.«
» Die habe ich seit zehn Jahren nicht gesehen! Kürzlich habe ich von ihr geträumt, da wollte sie mich umbringen. Mit Leichengift. Halt, nein, mit einem Messer.«
» Sie spricht nicht schlecht von dir.«
Jakob hat immer dieselben Frauen gemocht wie ich. Einmal, als er noch ganz jung und verloren war, lud ich ihn zu Weihnachten ein. Er saß in Anzug und Krawatte bei uns, an den Füßen lächerlich dicke Puschen, und erzählte errötend von seinem Tanzkurs. Lotte befragte ihn ein bißchen, und er sah sie dankbar an wie ein Hund. Hat er wirklich Kontakt gehalten zu meiner inzwischen alten ersten Frau? Ist er am Ende gekommen, um für sie zu werben?
» Sie hat nie wieder geheiratet«, sagt er.
» Es geht nicht. Sexualität hat für mich was mit Jugend zu tun.«
*
Jetzt schnarcht er in der winzigen Gästekammer, die mit einer Pappwand von meinem Schlafzimmer abgetrennt wurde, so daß ich nicht Durchzug machen kann. Es ist unerträglich schwül, und ich wälze mich von links nach rechts, während er im Schlaf des Gerechten ein Wäldchen niedersägt. Ich gehe hinunter, öffne noch eine Flasche Wein und versuche zu lesen – Sidonies Roman, warum denn nicht. Die Buchstaben verschwimmen, und meine Beine werden schwer, als wollten sie abfallen. Ein Gefühl von Lähmung steigt in mir hoch, unheimlich und willkommen … Mein Kopf fällt auf die Brust. Ich schrecke auf.
Wenn ich die Wendeltreppe hinaufklettere und mich hinlege, werde ich wieder wach sein. Also noch mal Sidonies Schmöker … Eine unglückliche junge Frau will Opernsängerin werden – das ärgert mich. Warum Opernsängerin? Und warum so fanatisch? Jakob leidet an seinem Gerechtigkeitswahn, ich leide an meinem Ungerechtigkeitswahn, und die da leidet, weil sie Opern singen will. Die Welt ist böse, ja, aber ich habe genug von der bösen Welt, die Frau wird doch auch mal Sex haben wollen! Ich blättere … Da! Ein Dirigent ist hinter ihr her. Ein Schürzenjäger, der sich nur nebenbei um die verquälte Anfängerin bewirbt. Die verbietet sich Hoffnungen, ist natürlich trotzdem geschmeichelt, und nach der letzten Vorstellung vor der Sommerpause läßt sie sich von ihm im Auto nach Hause bringen. Als sie sich verabschieden will, schaltet er den Motor aus und legt seine Hand auf die Schnalle des Sicherheitsgurts. Drei Stunden quatscht er auf Romy ein, sie soll ihn mit rauf in die billige Einraumwohnung nehmen. Sie verteidigt sich nach Kräften, er gefällt ihr natürlich, ist viril, beredt, genialisch, er kann was für sie tun, trotzdem ringt sie um Fassung, und erst um zwei Uhr nachts fällt ihr die entscheidende Frage ein: » Wohin« – es ist, wie gesagt, Spielzeitende
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