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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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– » wohin fahren Sie denn in Urlaub?« – » Ich? Na, wie immer mit meiner Familie nach Sylt«, und so weiter. – » Sehen Sie, Herr Tjeschky, und genau deswegen werde ich mit Ihnen nichts anfangen. Ich fahre nämlich zu meiner Patentante in die Oberpfalz, weil ich keine andere Zuflucht habe, und dort würde ich im kleinen Garten auf dem Liegestuhl sitzen und leiden, weil ich mich in Sie verliebt habe. Warum soll ich mir das antun?«
    Ich stöhne. Der Dirigent läßt sie ziehen. Jahre später singt sie eine Hauptrolle in einer Berlioz-Oper unter seiner – tja – Stabführung. Die Heldin freut sich sogar darauf. Sie ist inzwischen verheiratet und denkt, ein guter Musiker war der Tjeschky immer, ich treffe ihn auf Augenhöhe … Warum können wir nicht Freunde sein? Ein Irrtum, stellt sich heraus: Der abgewiesene Mann muß Rache nehmen.
    Will ich wirklich wissen, wie er Rache nimmt?
    Ich gehe hinauf und lese im Bett weiter, vielleicht schlafe ich darüber ein. Überblättere ein paar Seiten … Der Dirigent hat inzwischen eine Affäre mit einer anderen Solistin begonnen, und sie nehmen die Heldin in die Zange. Die Rivalin mäkelt an ihrer Figur, der Dirigent läßt sie drei Stunden lang immer dieselbe Passage singen und schüttelt den Kopf. Sie will in einer Kadenz ein hohes Es singen, er will es ihr verwehren, schließlich hört er immer vor der Kadenz auf zu dirigieren, verschränkt die Arme vor der Brust und feixt. Er fordert im Betriebsbüro, der Heldin die Rolle wegzunehmen …
    Was für ein Elend. Ich blättere zurück zu Romys Kindheit: Die Frau ist begabt, aufrichtig, voller Sehnsucht, aber ängstlich und traurig, kein Wunder: lieblose Eltern, der Vater geizig, die Mutter bigott … Immerhin, aus dieser traurigen Kindheit bezieht Romy ihren Kampfgeist, da sollte doch auch erotisch Pfeffer drin sein, Pubertät, aha … Jakob nebenan pfeift und knattert, wenn ich nicht gleich eine Stelle finde, muß ich ihn aus dem Fenster werfen. Romy hat jetzt einen Verehrer. Schulkamerad … wird der sie erlösen? Oh, er küßt sie! Nach der Disco, sie ist 16, er 18. Er gefällt ihr, er ist nett. Jetzt muß es weitergehen.
    Es geht aber nicht weiter. Sie ist so entsetzt von dem Geklammer und dem Zungenspiel, daß sie sich losreißt und den Eltern alles beichtet – sie fürchtet, schwanger zu sein. Der Vater sagt: » Ich hab gleich gewußt, daß du ein Blaustrumpf wirst!« Die Mutter: » Als Frau muß man so was aushalten!«
    Im Gästezimmer eine kleine Explosion, Grunzen, Stille. Dann knarrt die Tür, und Jakob kommt heraus. Wohl die Prostata. Aus Scham oder Diskretion ignoriert er die brennende Nachttischlampe und schleicht vorbei wie ein Gespenst.
    Am Abend hatte er noch Jacob Grimm zitiert: Das Befugtsein gehört denen, die den Mut dazu haben. Und Hans Joachim Schädlich: Die Herrschenden stellen tatsächlich eine strenge und laute Instanz dar, die den Schriftstellern ihre Aufgabe zuteilt. Sie besteht – grob gesagt – darin, den Herrschenden herrschen zu helfen. Ja, kämpfe nur für unsere Würde, du stolzer Mann, aber vergiß nie, wie häßlich du bist. Plötzlich packt mich Erbarmen, mit Jakob, mit mir – so viele verpaßte Chancen. Jakob verachtet mich, Lotte trauert, Marita öffnet nicht mal mehr meine Briefe, und Sidonie schreibt so garstige Sachen.
    Um nicht mit Jakob reden zu müssen, lösche ich die Lampe und ziehe die Decke über den Kopf. Schade, gerade jetzt, wo das Buch interessant wird … Romy ist nicht aufgeklärt, allen Ernstes – das gab es also im Westen noch in den Siebzigern, kaum zu glauben … Und ich soll mich mit Idiotenregeln an blöden Akademien befassen? Zuckend kippt mein Bein in einen Abgrund und reißt mich mit, der Rückstoß weckt mich, ich liege auf der weichen Matratze und doch überm Abgrund, wenn ich einschlafe, stürze ich – das Herz läuft leer … Die Herrschenden stellen eine strenge und laute Instanz dar … Versagt, verarmt, und da rechnest du dir Chancen aus ? Ich irre durch die Akademie … Jakob vor einem Vortrag, sehr nervös, mit nacktem Oberkörper in einem Liegestuhl, zitternd. Im Zuschauerraum sitzen einjährige Babys, manche mit Brillen. Einige schlafen, aber die anderen lärmen … es handelt sich um Kindertheater. Ein zehnjähriger Held taucht in eine Traumwelt ein, die aussieht wie kolorierte Jahrhundertwende-Postkarten: bräunlich, Seebadambiente, Matrosenanzüge, weißlackierte Laternen … Er soll dort etwas in Ordnung bringen. Plötzlich stürzt die

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