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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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dir alle so gut! / Schlaf wohl, du kleiner Trompeter, du lustiges Rotgardistenblut. Er klingelte an der Wohnungstür, ich öffnete und stand da als der Verräter, der ich war, unrasiert, Schnaps im Blut, Verse im Kopf, vor mir mein verlorenes Kind. Meist war ich so verlegen, daß mir die Worte fehlten. Wir schauten uns an, und nach einer Weile drehte er sich um und ging. Nur einmal bat er würdevoll um Einlaß, das war an einem frostigen Februartag. Ich trat beiseite. Er ging an mir vorbei direkt ins Bad, von hinten sah ich erst seine knallroten Ohrläppchen und dann den nassen Fleck zwischen seinen Beinen. Er hatte eingepullert, aus Angst, weil es so kalt und dunkel war.
    Danach kam er nicht mehr. Ich schrieb ihm gelegentlich, meist in Gedichtform, dabei erzählend über mich, denn wie es ihm ging, wußte ich ja nicht. Für meine Verhältnisse war ich konsequent, ich wollte ihn ein bißchen zurückgewinnen, und nach drei Jahren erhielt ich tatsächlich Antwort: » Vielen Dank Vati für deine Gedichte. Ich sammel sie und wenn ich Groß bin werde ich ein buch daraus machen.« Mein Sohn ein Legastheniker. War ich auch daran schuld?
    Als er halbwüchsig war, nahm ich ihn gelegentlich auf Ausflüge mit. Wir bereisten mein Erzgebirge, alles außer Aue und Schlema. Ich zeigte ihm die vom Bergbau zerstörten und die berühmten zerfallenden Städte, Marienberg, Freiberg, Annaberg, ich erzählte ihm alles über Minen und Kumpels und Silikose und Mettenschichten, schenkte ihm ein Räuchermännchen (Wenn das Räuchermannl nabelt). Ich suchte in diesen Versatzstücken mich selbst, wie ich mich in allen Versatzstücken suche, und auch er suchte mich, aber er stellte keine Fragen, er ließ einfach den Blick nicht von mir. Abends gingen wir in die Kneipe, ich trank Wein, er Faßbrause – das war unangenehm, immer spürte ich seine hellen, ausdruckslosen Augen. Ich dachte, warum soll er nicht besser werden als sein Vater? Und war keineswegs froh, sondern seltsam aufgewühlt – als gönnte ich ihm diese moralische Freude nicht, ebensowenig wie früher, als er: » Vati, Vati, es ist Morgen !« rief, der kleine Intrigant.
    Er hat sich im Leben zurechtgefunden, ein solider Junge, der als Kunstmaler gut genug Blumen und Hirsche kann, um eine Familie zu ernähren; vielleicht unterrichtet er auch irgendwo. Seltsamerweise ist er nahezu verstummt, weshalb ich in seiner Gegenwart immer zuviel rede. Auch die Frau ist langweilig. Vor fünf Jahren war ich zuletzt dort, kein Wunder, daß ich das Haus nicht erkenne. Ich irre durch die Plattensiedlung, zuerst im Auto über Beton, wuppwuppwupp, dann zu Fuß, in der Abenddämmerung bei Nieselregen sehen alle Blocks gleich aus, niemand unterwegs, den ich fragen könnte. Aufatmend entdecke ich eine Telefonzelle. Sie funktioniert sogar. » Ich komme runter«, sagt Erich. » Ich kann dich von hier sehen. Du mich auch. Es ist die einzige Wohnung, wo Licht brennt. Sechster Stock.«
    Er nähert sich mit einem Regenschirm, steht vor der Telefonzelle, lächelt vorsichtig und gibt mir die Hand. Er führt mich in sein Heim, der große, inzwischen etwas dickliche siebenunddreißigjährige Mann beschirmt seinen besiegten Peiniger. Ich krümme mich vor Scham. Schweigend hasten wir durch den Regen. Im düsteren Treppenhaus schütteln wir uns wie Pudel. Die Wände sind vollgekritzelt, die Briefkästen stehen offen, auf der Kellertür hat jemand Zahnpasta verschmiert. Die Siedlung sei weitgehend verlassen, erklärt Erich, während wir die sechs Stockwerke erklimmen. WBS 70, ab dem siebten Stock war ein Lift vorgeschrieben, deswegen baute man nur sechs; als ich Erich das letzte Mal besuchte, bedeutete das nichts, diesmal bleibe ich auf jedem Treppenabsatz stehen, um meine Kurzatmigkeit zu verbergen. Während wir stehen, stelle ich Fragen. Unsere Unterhaltung ist wie immer zäh.
    » Wo sind die Leute hin?«
    » In den Westen.«
    » Warum?«
    » Keine Arbeit.«
    » Du bleibst?«
    » Ich arbeite.«
    » Aber in diesem Haus?«
    » Ich hab ein Atelier in der Stadt.«
    » Und deine Familie? Fühlt die sich hier wohl?«
    » Hoffentlich.«
    Erichs Wohnung hat vier Räume und wenige Möbel, er selbst hat alle Wände mit Blumen und Vögeln bemalt. Die Schwiegertochter drückt mir einen feuchten Säugling in den Arm und läuft in die Küche; sie mochte mich nie. Zwei größere Enkel kommen aus dem Zimmer, eins versteckt sich hinter dem anderen und späht kokett hervor.
    » Lukas! Linda! Kennt ihr mich noch? Ich bin der

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