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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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Opa!«
    Sie schütteln die Köpfe und lächeln ungläubig. » Du bist der Opa?«
    Das Balg auf meinem Arm beginnt zu plärren. Ein Hund rennt mir gegen das Knie. Linda fragt: » Das soll der Opa sein?«
    Lukas, prüfend: » Der Opa ist der Opa!«
    Linda: » Opa?«
    » Ja?«
    » Warum hast du keinen Bart?«
    » Ich hatte noch nie einen Bart.«
    » Vati hat gesagt, wir dürfen dich am Bart ziehen!«
    Sie scheinen nicht zu wissen, daß sie in einem Geisterhaus leben. Gutgelaunte, erwartungsvolle Kinder! Daß Opa keinen Bart hat, haben sie schon vergessen, sie malen ihm jetzt ein Bild. Großzügigkeit der Jugend. Ob ich eine der vielen freien Vierraumwohnungen in diesem Block beziehe? Dann hätte ich zumindest Anschluß. Ich könnte Lukas unterrichten … in Orthographie … Ich könnte mich an Erich halten. Vielleicht mündet das hundertjährige vielfältige und unsinnige Leiden der Familie Steiger doch noch in irgendein Glück, ein Kleinbürgeridyll, unterhalten ausgerechnet durch meinen gequälten Sohn? Ist das sein Triumph über mich, der von dem Glück nichts hat, freilich daran auch kein Verdienst? Sind wir wirklich nur auf der Welt, damit das Leben weitergeht, wie Flechten auf einem Felsen?
    Erich hört mich so geduldig an, wie das bei dem Durcheinander möglich ist. Um uns quieken drei Kinder, toben zwei Hunde. Das schwarze Spanielbiest Bella hat, obwohl nur zu Gast, dem Dobermann Dobby sein Spielzeug geklaut, einen zerbissenen Stoffelefanten, und Dobby ist einerseits zu ritterlich, um sich das Ding zurückzuholen, andererseits nicht souverän genug, es dabei bewenden zu lassen, er jault anklagend. Es gibt auch eine indignierte Katze namens Claire mit eng beieinanderliegenden blauen Augen, die pfeift wie ein Vogel. Nach einem fast menschlichen Klagelaut – üüüü – glissando diminuendo, als würde sie in Ohnmacht fallen – beginnt sie, sich rhythmisch zu krümmen, und kotzt auf den Teppich. Niemand wischt es weg. » Sie verträgt die Unruhe schlecht«, erklärt Erich.
    Ich gehe auf den Balkon, um zu rauchen. Erich folgt mir. Wieder schüttelt mich die Heimatlosigkeit, aber mehr noch das Bedürfnis nach Ruhe. Deswegen klage ich nur maßvoll.
    Sylvia taucht kurz auf und knallt einen Aschenbecher auf den rostigen Balkontisch. Ich bemerke, daß Erichs wasserhelle Augen sich mit Ausdruck füllen, wenn er sie ansieht, ausgerechnet sie, die gehetzte Sylvia mit den abgebissenen Fingernägeln. Kaum dreht er mir das Gesicht zu, leert sich sein Blick wieder, als verberge sich seine Seele reflexhaft vor mir. Ich kenne ihn gar nicht, merke ich. Jahrzehntelang brachte er mich in Verlegenheit durch seine Sehnsucht, jetzt schüchtert seine Unnahbarkeit mich ein.
    » Mach dir um uns keine Sorgen, wir kommen zurecht«, sagt er.
    Ein Kind heult. Er lauscht nach drinnen.
    Claire, die Katze, springt auf den Tisch neben den Aschenbecher und pfeift: üüü!
    » Sie hat Hunger«, erläutert Erich. Zu Claire sagt er: » Erst frißt du deine Kotze auf!«
    Nach längerem, vorwurfsvollem Zögern folgt sie dem Befehl.
    Ich zünde mir eine neue Zigarette an.
    » Wir müssen Berna besuchen«, sagt Erich.
    » Ach so, Berna, wie geht es ihr«, frage ich bang.
    » Sie braucht Hilfe.«
    » Wann hätte sie keine gebraucht.«
    » Wann hätte sie welche bekommen.«
    Für einen stummen Mann war das ziemlich schlagfertig. » Es würde ihr wenig Freude machen, mich zu sehen«, sage ich erschrocken. Berna haßt mich, zu Recht. Gott sei Dank löst dieser Gedanke etwas bei mir aus, etwas Entlastendes – Selbstmitleid, » Wirklich«, sage ich mit bebender Stimme, » als ich sie das letzte Mal anrief, fing sie an zu schreien. Es würde ihr den Rest geben, mich zu sehen.«
    Von drinnen Geheul. Erich stürzt in die Wohnung. Ich rauche die Zigarette zu Ende und danach noch eine, bis der Lärm nachläßt.
    Linda hat sich im Klo eingesperrt und den Schlüssel abgezogen, kann nicht mehr raus. Erich sitzt mit gespreizten Beinen auf dem Boden, die Schulter am Rahmen, und spricht mit weicher, tiefer Stimme durch die Tür. » Wo ist denn der Schlüssel? Du hast ihn doch nicht aus dem Fenster geschmissen?«
    Gedämpftes Wimmern: » Na-aein!«
    An der Wand sehe ich ein Foto meiner Lotte, das einige Jahre alt sein muß: Als glühende Oma hält sie den verquollenen Zwerg Lukas im Arm. Neben ihr hockt ein Mops mit Fledermausohren, offenbar der Vorfahr des augenblicklich hier tobenden Getiers. Mich schwindelt angesichts dieses Wirbels von entstehendem, brüllendem,

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