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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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ich möge mich im Sporthotel auf der anderen Spreeseite verpflegen; außerdem sei das Rauchen in allen Räumen wegen Denkmalschutz untersagt. Eine Direktoren-Strulle mit harten roten Bäckchen, wie aus dem Armee-Klubhaus entsprungen – hätte ich nicht kurz zuvor im Versammlungsraum neben meiner Klause ein Faxgerät entdeckt, hätte ich randaliert. Nun schreibe ich per Hand ein Fax an Sidonie, und schon breiten sich Wärme und Zuversicht in mir aus. Sogar Begehren, ein sacht wachsendes geduldiges, ungewohnt sanftes Begehren. Liebe Sidonie, schreibe ich, ich sehne mich nach Eurem Fehnschloß auf der Warf … Die Reise entspricht bisher nicht meinen Erwartungen, und es liegt nicht daran, daß diese etwa exklusiv waren …
    Die Lesung am Abend in Erkner verläuft undramatisch. Wenige Zuhörer. Ein Funktionär ehrt mich nostalgisch verschlagen, hinterher wird getrunken, und als ich nach Mitternacht in der Burg abgeliefert werde, taumle ich gleich zum Faxgerät, ob Antwort da ist. Tatsächlich!, mein Herz hüpft, da liegt sie, zwischen zwei Amtsfaxen, unschuldig, gewissermaßen leuchtend:
    Lieber Henry, halte durch und komm gesund wieder! Wir vermissen Dich. Meine einzige Abwechslung ist ein elektronischer Zehnfingerschreibmaschinenkurs, den mir Robert verschafft hat, aus der DDR , das ist doch auch Lyrik, oder?
    alf das as las ja kafka
    die feile des ali sei lila
    als ilse las lief lili ski
    WIR VERMISSEN DICH , rekapituliere ich glücklich eins ums andere Mal, als ich im Bett liege, aber dann läßt ein anderer Satz mich hochfahren. Barfuß im Schlafanzug noch mal rüber zum Fax. Wie kommst Du an einen Schreibmaschinenkurs von Robert?
    Na, er hat ihn auf mein Laptop überspielt!, antwortet sie am Morgen.
    Das Wort überspielt alarmiert mich. Muß ich mir Sorgen machen?
    Um Robert? Allerdings, scherzt Sidonie. Er joggt bei der Bruthitze durch die Marschen, gefolgt von Mückenschwärmen. Und übrigens, ich mache Riesenfortschritte:
    olga liebt dieses wolgalied
    kollege oswald will das sowieso
    der erlöser erlöse alle er sei der erlöser der seele der elfriede
    Sidonie, unser Faxverkehr hält mich am Leben. Ich habe mich sogar rasiert. Und nachher lasse ich mir die Haare schneiden.
    Was bin ich lächerlich. Was wäre ich ohne diese herrliche Lächerlichkeit. Donnerwetter, faxt sie zurück. Jetzt kann ich mir ein Bild machen. Und dann kommt ein ziemlich verwegener Satz: Ich habe mich ja immer gefragt: Was macht ein einsamer Dichter auf Tournee, wenn er unruhig wird?
    Was macht ein Dichter, wenn er unruhig wird?
    Er schiebt alles in die Kunst, hätte ich fast geantwortet. Ich tu’s natürlich nicht. Erstens halte ich Sidonie für zimperlich, oder wünsche sie mir zimperlich. Entzimpert werden soll sie von mir allein, aber nicht per Fax. Außerdem stimmt es nicht, ich schiebe derzeit meine Unruhe nicht in die Kunst, sondern in meine, sagen wir, Träume.
    Sidonie! faxe ich. Auch einsame Dichter auf Tournee haben Glücksmomente. Heute früh fragte mich die Direktorin, eine richtige Kampf-Elfe der NVA , warum ich keine Performance mache.
    » Was meinen Sie mit Performance?« fragte ich.
    » Ja, ich war in Kassel, da wanderte ein weißgekleideter Mann mit Hut durch die Straßen, und plötzlich liefen 50 Leute hinter ihm her, und das war eine Performance.«
    Du siehst, meine Landsleute machen sich Gedanken; was bedeutet, daß die Kunst in meiner Heimat noch nicht am Ende ist. Morgen lese ich hier in der Burg zusammen mit ein paar knüppelharten DDR -Autoren, mit Steffen Rohr, den wir nur Kanonen-Rohr nannten, und Albert Rassel, seinerzeit als NVA -Rassel bekannt. Übermorgen aber geht’s nach Frankfurt an der Oder, ebenfalls eine Gemeinschaftsveranstaltung, mit vielen Dissis …
    Was sind Dissis? faxt Sidonie.
    Dissis sind Dissidenten, im Unterschied zu den Dogmatikern, den Doggis, will ich antworten. Aber plötzlich ist der Versammlungsraum abgeschlossen, und ich komme nicht ans Fax. Ich suche die Verwalterin, die auf Dienstreise ist, und rüttle an der Tür des Sekretariats, an der ein Zettel klebt: Wegen Krankheit bis 15 Uhr geschlossen. Ich wandere wie ein Tiger durch den Hof, bereit, jeden anzuspringen, der einen Burgschlüsselbund haben könnte.
    Dann wird mir meine Lächerlichkeit bewußt, und ich beschließe, den Ort anzusehen. Es soll dreißig Grad warm werden heute, noch haben wir erst zweiundzwanzig, ich laufe also an Ententeichen entlang ins übersichtliche Zentrum. Strekosa hat allerhand zu bieten, lese ich im

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