Dichterliebe: Roman (German Edition)
vergehendem Fleisch.
» Linda«, spricht Erich deutlich durch die Tür, » der Schlüssel ist also bei dir im Badezimmer. Siehst du ihn?«
Schluchzen: » Jaaaa …«
» Hast du ihn in der Hand? … Heb ihn auf. Siehst du, auf der einen Seite ist ein Loch, auf der anderen ein Bart …«
Hat sich auch seine Zunge vor mir verborgen?
Lukas kommt barfuß aus dem Kinderzimmer, ein gewelltes Papier in den Händen. Er schaut schüchtern auf mich, doch ängstlich auf den Vater: Sein Wasserfarbenbild für den Opa braucht Vatis Segen. » Nicht Wasserfarben«, kommentiert Erich, immer noch mit dem Ohr an der Tür auf dem Boden sitzend, überraschend streng, » Aquarellfarben heißt das! Na, da hast du aber das kälteste Blau genommen, das es überhaupt gibt. Wie kannst du das am besten korrigieren? Und warum gehört dorthin eine Komplementärfarbe?«
*
Berna hatte endlich Arbeit gefunden und gleich wieder verloren: Kündigung während der Probezeit. Bernas ganzes Leben verläuft im Takt von Kündigungen und unglücklichen Lieben, leider. Einst hat auch Berna zur Kunst gestrebt und ein paar Jahre lang als Schauspielerin in der Provinz erstes Fach gespielt, bevor sie sich mit allen überwarf. Jetzt arbeitet sie, wo man sie nimmt, ist unzufrieden, rechnet immer mit dem Schlimmsten und beschwört es herauf. Erich referiert in gedämpftem Ton: Berna klage gegen die jüngste Entlassung und habe sich hoffnungslos in den Rechtsanwalt verliebt. Ich werde den Teufel tun und hinfahren, es würde alles noch schlimmer machen.
Was ist schiefgelaufen? Ich habe sie nie mißhandelt oder geschlagen. Sie interessierte mich einfach nicht. Ich haßte das Radio am frühen Morgen, nachdem ich bis in die Nacht gearbeitet hatte: 5 vor 7 Augen reiben / nicht mehr länger liegen bleiben, / weil der junge Morgentag / keine Trauerklöße mag. Berna öffnete die Schlafzimmertür und drehte die Lautstärke hoch: Pfiffikus ist auf der Stelle / auf der Kinderadiowelle / und wünscht euch einen frohen neuen Tag! » Radio aus!« brüllte ich, aber die Familie schien sich verschworen zu haben. » Tür zu!« Nichts half. Ich verschloß die Tür, legte mich wieder hin, wünschte mich fort.
So wie heute morgen: den Frühlärm verschlafen, und als ich aufstand, war die Wohnung leer. Erich hatte gesagt, daß er zeitig mit dem Bus ins Atelier fahren würde, aber die Familie hätte da sein müssen. Sie war es nicht: Frau, Kinder und Hunde ohne Vorwarnung entwichen. Ich erwartete sie mit gemischten Gefühlen, hoffte vergeblich auf ein Frühstück, kochte endlich Kaffee und aß ein Butterbrot, bis Katze Claire auf den Tisch sprang und mich anstarrte. Als sie zu pfeifen begann, brach ich auf. In meiner Tasche fand ich den verspeichelten Stoffelefanten, um den die Köter gestern gezankt hatten. Einer von ihnen, wohl der freundliche Dobermann, hat ihn mir zum Abschied geschenkt.
Ich schleuderte den Elefanten beiseite. Dann war ich aber doch so gerührt, daß ich mein Honorar aus Schlema, die ganzen fünfhundert Mark, auf dem Küchentisch zurückließ mit einem Zettel, es sei für Berna.
Gutes Gefühl, trotz allen Versagens: ein Opfer gebracht. Wenig geklagt. Endlich wieder um mich selber drehend. Ich fahre rauchend im Porsche gen Norden, die Wolkendecke öffnet sich, Sonnenstrahlen schlagen durch die grüne Landschaft einen schrägen, dampfenden Schacht. In mir zittert eine ganz unglaubliche Hoffnung. Gestern abend, nachdem ich mit Erich zwischen den verwaisten Blöcken die Hunde ausgeführt hatte, rief ich von der Telefonzelle aus Sidonie an. Sie wirkte nicht überrascht; oder war sie beschwipst? Versehentlich ein Praliné gegessen? Sie kicherte.
» Glaubst du, daß man eine zweite Chance verdient hat?« fragte ich.
» Na klar!«
Es ist töricht, und sie meint es auch nur theoretisch, aber ich liebe sie dafür.
*
Für meine ersten drei Brandenburg-Lesungen bringt man mich auf einer halb renovierten kleinen Burg im Städtchen Strekosa unter, an der Spree. Die Burg ist ein Museum, das um sein Überleben kämpft, deshalb vermietet es ein Zimmer, für das niemand sonst Verwendung hat. Das Zimmer ist dunkel und schmal mit einer Liege, die fast seine ganze Breite einnimmt; man erreicht es von einem fensterlosen Gang aus, der zum Versammlungsraum des Gemeinderats führt. Die Toilette liegt einen Stock tiefer, die Dusche am anderen Ende des Burghofs.
Auch hier gibt es kein Frühstück. Ich beschwere mich bei der Verwaltungsdirektorin, die mir unumwunden erklärt,
Weitere Kostenlose Bücher